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„Ein gigantisches Unglück“ - Erinnerungen an den Tsunami 2004

23.12.2014 - Artikel

Das Seebeben und die anschließende Tsunami-Welle vom 26. Dezember 2004 verwüsteten große Küstenbereiche des Indischen Ozeans. Unsere Kollegen Karsten Tietz und Michael Banzhaf waren nach dem Tsunami in Thailand und Indonesien im Einsatz.

Es war eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Das Seebeben und die anschließende Tsunami-Welle vom 26. Dezember 2004 verwüsteten große Küstenbereiche des Indischen Ozeans. Hunderttausende Menschen kamen ums Leben, viele der Überlebenden waren verletzt und obdachlos. Unsere Kollegen Karsten Tietz und Michael Banzhaf waren nach dem Tsunami in Thailand und Indonesien im Einsatz und erinnern sich für die „Amtsgeschichte(n)“ an diese Zeit.

Tourist an der thailändischen Küste
Tourist an der thailändischen Küste© dpa/picture-alliance

Die schreckliche Nachricht erreichte Karsten Tietz an einem freien Tag, am 2. Weihnachtsfeiertag 2004. Doch wie viele Menschen tatsächlich nach dem Seebeben in Lebensgefahr waren, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorstellen. Als Leiter des Bereichs „Rechts- und Konsularwesen“ an der deutschen Botschaft in Bangkok machte er sich mit einem kleinen Team von vier Kollegen auf den Weg in den Süden des Landes, nach Phuket.

„Schiere Massen“ von Hilfsbedürftigen

Das Team ahnte nicht, dass im Süden 20.000 obdachlose Deutsche warten würden, „ohne Hotel, ohne Papiere und Tickets, ohne Geld und nur noch mit der Kleidung, die sie am Leibe trugen.“ Dazu mehrere hundert Schwerverletzte, die in verschiedenen Krankenhäusern über die Region verteilt lagen.

Karsten Tietz arbeitete 2004 an der Botschaft Bangkok
Karsten Tietz arbeitete 2004 an der Botschaft Bangkok© AA

Auch die Zahl der Toten war noch völlig unklar: „Wir waren überwältigt von den schieren Massen der Hilfsbedürftigen und hatten natürlich keine Blaupause. Wie geht man mit einer Krise einer solchen Dimension um?“

Prioritäten setzen - ein sehr schwieriges Unterfangen im Chaos nach der Katastrophe. Denn wie erklärt man verzweifelten Touristen, die ihre Angehörigen tot aufgefunden haben, dass erst einmal anderen geholfen werden muss?

Unsere erste Priorität waren die Schwerverletzten und nicht die Identifizierung von Toten oder die Abfertigung einer Leichenrücküberführung. So hart es klingt: Den Toten kann man nicht mehr helfen, und die Lebenden brauchen die Hilfe dringend.

Hunderte Schwerverletzte werden ausgeflogen

Bald schon trafen Ärzte und Helferteams aus Deutschland ein. Sie fuhren die einzelnen Krankenhäuser ab und kamen mit schlechten Nachrichten zurück: Viele deutsche Patienten mit schweren Wundverletzungen würden ohne Evakuierung kaum Überlebenschancen haben.

Das was mich am meisten belastet hat, war zu wissen, da liegen 400 Schwerverletzte über ganz Südthailand verteilt. Und wenn wir die nicht innerhalb von 2-3 Tagen alle ausfliegen, dann werden sie sterben. Wir sind dafür verantwortlich. Wenn wir es nicht machen, macht es keiner.

MedEvac-Flugzeuge werden schnellstmöglich angefordert, die Armee aus Singapur leiht Helikopter aus. Karsten Tietz berichtet von „einem Riesenkraftakt“ und von unbürokratischen Entscheidungen, die schnell getroffen werden mussten.

Erinnerungsbilder im Büro
Erinnerungsbilder im Büro

Das Telefon klingelt: Soll ein deutscher Vater einer kleinen Tochter, dessen Frau und zweites Kind in der Welle umgekommen sind, für 80.000 Dollar in ein Krankenhaus nach Bangkok geflogen werden? Jetzt, sofort? Tietz erinnert sich: „An Haftung, Regress und all solche Fragen habe ich überhaupt nicht mehr gedacht. Ich hatte irgendwie nur an die Tochter gedacht, sie war etwa acht Jahre alt.“

Nachdem binnen weniger Tage alle Schwerverletzten ausgeflogen worden waren, startete Anfang Januar die systematische Identifizierung der vielen Toten, was „weit über ein Jahr“ dauern sollte, so Karsten Tietz. Ingesamt haben 550 Deutsche durch den Tsunami in Thailand ihr Leben verloren.

Karsten Tietz bleibt noch bis 2006 an der Botschaft Bangkok und schreibt von dort auch „Lessons Learnt“-Berichte. Im Nachgang zum Tsunami wurden zum Beispiel an verschiedenen Orten der Welt fertig gepackte „Krisencontainer“ bereit gestellt.

Wiederaufbau in Aceh

Die Wassermassen spülten dieses Schiff auf ein Hausdach
Die Wassermassen spülten dieses Schiff auf ein Hausdach

Besonders hart haben das Seebeben und der Tsunami die indonesische Provinz Aceh getroffen. Michael Banzhaf, heute stellvertretender Botschafter in Kasachstan, gibt zu, dass er nach dem Tsunami erstmal auf der Landkarte gucken musste, „wo das eigentlich genau liegt.“ Noch ahnte er nicht, dass der Wiederaufbau in der Region ihn ab Mitte 2005 für rund ein Jahr intensiv beschäftigen würde.

Aceh ist eine Provinz im äußersten Nordwesen von Sumatra - und zum Zeitpunkt der Katastrophe bereits seit fast drei Jahrzehnten vom Bürgerkrieg um die Unabhängigkeit gebeutelt. Erst am 15. August 2005 unterzeichneten Regierung und Rebellen ein Friedensabkommen in Helsinki.

Zehntausende Tote und Obdachlose

Michael Banzhaf leitete ab August 2005 bis zur Schließung im Juni 2006 die Außenstelle der deutschen Botschaft in Banda Aceh
Michael Banzhaf leitete ab August 2005 bis zur Schließung im Juni 2006 die Außenstelle der deutschen Botschaft in Banda Aceh© AA

„Unglück, wenn man davon nur aus den Medien erfährt, bleibt doch immer abstrakt,“ sagt Banzhaf, der damalige Leiter der nach dem Tsunami neu eingerichteten Außenstelle der deutschen Botschaft in der Provinzhauptstadt Banda Aceh.

„Man hat mit Menschen gesprochen, die im Tsunami wirklich ihre gesamte Familie verloren haben,“ erinnert sich Michael Banzhaf: „Frau, Kinder, Eltern. Da steht man schon letztendlich sprachlos daneben - weil jeder Trost nur billig sein kann.“

Im Vergleich zu diesem „derart gigantischen Unglück“ ging es dem Koordinierungsteam rund um Michael Banzhaf in der Außenstelle der deutschen Botschaft recht gut. Eine zumindest optisch repräsentative Villa diente als Wohn- und Arbeitsort, als „eine große WG“.

Die Technik funktionierte auf jeden Fall so, dass die Kommunikation möglich war. Es gab die tropenüblichen Stromausfälle. Die Infrastruktur des Hauses war natürlich marode und es hatte sich allerhand Getier eingenistet: von einem Mungo über Fledermäuse und natürlich den ganzen unappetitlichen Genossen wie Ratten und Kakerlaken.

Ganz wichtig sei die Teamleistung gewesen, betont Banzhaf im Rückblick: „Ein unglaublicher Einsatz der Kollegen aus dem Auswärtigen Amt wie auch der privaten und staatlichen Durchführungsorganisationen.“


Partnerschaftsinitiative mit Leben füllen

Erinerungen an den Tsunami in Banda Aceh
Erinerungen an den Tsunami in Banda Aceh© AA/Körber

Nach dem Ende der ummittelbaren Nothilfe und des ersten Wiederaufbaus in Aceh stand ab Mitte 2005 die weitere Wiederaufbauarbeit und die Umsetzung der von der Bundesregierung initiierten „Partnerschaftsinitiative“ im Vordergrund.

„Wir haben uns damals sehr stark fokussiert auf den Aufbau von Schulpartnerschaften,“ erzählt Banzhaf, „und unsere Hoffnung war natürlich schon, dass trotz der großen kulturellen Unterschiede langfristig ein Austausch zwischen den Gesellschaften stattfinden kann.“

Die Sinnfrage habe sich nie gestellt, sagt Banzhaf heute. Es sei im Rückblick sogar eine Erfahrung, die er nicht missen möchte:

Was bleibt aus der Zeit in Aceh ist das Gefühl, zumindest in einem kleinen, bescheidenen Rahmen dazu beigetragen zu haben, dass es den Menschen ein wenig besser geht.

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