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Der letzte DDR-Botschafter in Paris

04.07.2014 - Artikel

Am 4. Juli 1990 wird Stephan Steinlein letzter DDR-Botschafter in Paris. Für unsere „Amtsgeschichte(n)“ erinnert sich der heutige Staatssekretär an die Wendezeit.

Am 4. Juli 1990 erhält Stephan Steinlein offiziell sein „Agrément“ und wird damit letzter DDR-Botschafter in Frankreich. Seine Diplomatenausbildung absolviert er im Anschluss - als Botschafter a.D. - in Bonn. Heute ist der studierte Theologe Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Ein Rückblick.

„Ich wundere mich immer über die Leute, die zu wissen meinen, was Sie in zwanzig Jahren sind“, sagt Stephan Steinlein und lächelt dabei. „Meine Erfahrung ist eine ganz andere...“.

Weltoffen in die Wendezeit

Staatssekretär Stephan Steinlein
Staatssekretär Stephan Steinlein© AA

Als Stephan Steinlein am 10. November 1989 fernab der Heimat in seinem Studentenwohnheim in Straßburg aufwacht, erfährt er, dass die Mauer gefallen ist. „Das wollte ich erst gar nicht glauben. Aber dann lief es auf allen Kanälen und es war natürlich eine große Freude.“

Sein Postgraduiertenstudium in Frankreich ist für den jungen Theologen aus der DDR ein Privileg und schon vor der Wende hat er sich in Richtung Westen orientiert:

„Ich habe immer versucht, so zu leben, als würde es die Mauer schon nicht mehr geben.“

1961 in Finsterwalde geboren, erlebt Steinlein früh, wie sich sein Vater als evangelischer Superintendent für die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber dem SED-Staat einsetzt. Auch der Sohn entscheidet sich nach einer Ausbildung zum Walzwerker für die Theologie. 1987 macht er seinen Abschluss an der theologischen Hochschule „Sprachenkonvikt“ in Ost-Berlin.

Das war eine Hinterhof-Hochschule mit einer Atmosphäre der Offenheit, die uns dazu befähigt hat, später Dinge zu tun, die man eigentlich so als Theologe nicht machen würde.

Sprachen lernen, nicht-ideologisches Denken, sich mit Kommilitonen und Dozenten aus dem Westen austauschen - für Steinlein universitärer Alltag. Das Konvikt gilt als Freiraum in der DDR, Steinleins Doktorvater Wolfgang Ullmann als einer der Köpfe des demokratischen Aufbruchs.

Ein unerwartetes Angebot

Das ehemalige DDR-Außenministerium in Berlin (Abriss 1995)
Das ehemalige DDR-Außenministerium in Berlin (Abriss 1995)© dpa/picture-alliance

Von seinem Studienort Straßburg aus verfolgt Stephan Steinlein nach dem Mauerfall vor allem über die Presse die Entwicklungen in Berlin. „Plötzlich spielten viele meiner Freunde und Bekannten eine prominente Rolle. Da war es schon etwas merkwürdig, so weit weg vom Schuss zu sein.“

Inzwischen hat er in Straßburg auch seine spätere Ehefrau, eine Französin, kennengelernt. Im April 1990 reist er ohne sie nach Berlin. Er will dort versuchen, seiner Partnerin eine berufliche Perspektive in Deutschland zu verschaffen. Warum nicht bei der neuen DDR-Regierung?

Ich bin damals zum Staatssekretär des neuen Außenministers Markus Meckel gegangen, Hans Misselwitz. Er war ein Kommilitone von mir und ich habe ihn gefragt, ob er nicht irgendeine Arbeitsstelle für meine Frau wüsste im Auswärtigen Amt. Weil sie dann gerne mit mir nach Berlin kommen würde...

Als Antwort bekommt Steinlein unerwartet selbst einen Job angeboten, der „außerhalb jeder Vorstellung“ liegt:

„Nee, für Deine Frau habe ich nichts, aber für Dich hätte ich was. Willst Du nicht Botschafter in Paris werden?“ Das habe ich dann noch kurz mit meiner Frau besprochen und zugesagt. Da kann man ja auch schlecht „Nein“ sagen!

Für den Botschafterposten in Paris wird jemand gesucht, der Französisch spricht und das Vertrauen der neuen Führung genießt. „Davon gab es halt nicht so viele“, sinniert Steinlein und berichtet, dass bei der Neubesetzung der „Zwei-plus-Vier“-Botschaften der DDR insgesamt drei Theologen mit ähnlichen Lebensläufen zum Zug kamen.

Mit 29 Jahren Botschafter in Paris

Das Agrément vom 4. Juli 1990
Das Agrément vom 4. Juli 1990© AA

Am 4. Juli wird Stephan Steinlein seitens der französischen Regierung das „Agrément“ erteilt, seine Arbeit als DDR-Botschafter offiziell aufzunehmen. Das Botschaftspersonal sei jedoch dasselbe wie vorher geblieben, erzählt er: „Ich war der einzige Neue und noch dazu ein komplettes Greenhorn in der Diplomatie.“

Existenzängste der Belegschaft, die Abwicklung der Botschaft und gleichzeitig die Herausforderung, sich und andere zu motivieren - keine leichten Aufgaben für einen 29-Jährigen:

Für mich waren das auch Leute, mit denen ich in der DDR nie zusammen gekommen wäre. Wir lebten in völlig verschiedenen Welten. Die hätten wahrscheinlich Meldungen schreiben müssen, wenn sie mich treffen. Und umgekehrt hätte ich kein Interesse an einem Treffen gehabt. Wir haben uns dann aber ganz gut zusammengerauft in der kurzen Zeit.

Die politische Lage habe sich „von Woche zu Woche verändert“, erinnert sich Steinlein. „Man muss damit auch innerlich Schritt halten und sich fragen: Warum mache ich das eigentlich?“

Neue Chance: Die Diplomatenausbildung

Nach wenigen Wochen im Amt: Die Abberufung
Nach wenigen Wochen im Amt: Die Abberufung© AA

Das Verhältnis zur Botschaft der Bundesrepublik in Paris habe er als sehr eng und partnerschaftlich wahrgenommen, erzählt Steinlein im Rückblick. Doch die Zusammenarbeit mit dem damaligen Botschafter Franz Pfeffer ist nur von kurzer Dauer.

Zu seinem offiziellen Antrittsbesuch bringt Steinlein dem bundesdeutschen Botschafter gleich Neuigkeiten mit. „Herr Pfeffer, hier komme ich zum meinem Antrittsbesuch, aber ich habe heute Morgen mein Abberufungsschreiben erhalten.“

Grund: In Ost-Berlin ist die große Koalition gescheitert und auch der Termin der Wiedervereinigung steht bereits fest für den 3. Oktober. Damit habe eine Neubesetzung des DDR-Botschafterpostens natürlich wenig Sinn gemacht, stellt Steinlein fest - der Termin lohnt sich trotzdem für ihn:

In diesem Gespräch habe ich dem Botschafter gesagt: Ich interessiere mich für Außenpolitik und würde das gerne weiter machen. Er riet mir zur umgehenden Bewerbung für die Diplomatenlaufbahn im Auswärtigen Amt. Also habe ich schnell meine Bewerbung geschrieben, sie nach Bonn geschickt, und dann kam die Sache ins Rollen.

„Den Westen nochmal lernen“

Steinlein (letzte Reihe, 2.v.l.) mit anderen Auszubildenden der 46. Crew
Steinlein (letzte Reihe, 2.v.l.) mit anderen Auszubildenden der „46. Crew“© AA

Zurück auf die Schulbank heißt es dann 1991 für Stephan Steinlein, der zu DDR-Zeiten den Plan hatte, Professor für Kirchengeschichte zu werden.

Als Mitglied des 46. Ausbildungslehrgangs in der Bonner „Diplomatenschule“ bekommt er die Chance, „nochmal den Westen zu lernen“, wie er zufrieden feststellt. Zuvor habe er sich schließlich nur autodidaktisch mit Themen der westdeutschen Wirtschaft und Außenpolitik beschäftigen können.

Und wenn ihm damals jemand gesagt hätte, dass er mal Staatssekretär im Auswärtigen Amt sein würde?

Dann hätte ich wahrscheinlich genauso gelacht, wie wenn mir jemand 1986 gesagt hätte, dass ich irgendwann mal Botschafter der DDR bin. Es ist immer etwas anderes passiert, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können.

Die „46. Crew“ ist der erste gesamtdeutsche Diplomaten-Jahrgang nach der Wende. Schon in dieser Gruppe, so Steinlein, habe es keine Rolle mehr gespielt, ob man aus dem Osten oder aus dem Westen kam: „Wir haben uns in dieser Zeit wirklich aufeinander zu bewegt.“

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