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„Es gibt keine Alternative zu Europa“

09.05.2014 - Artikel

Am 1. Mai '04 erlebte die EU den größten Zuwachs ihrer Geschichte. Unser Kollege Eckart Cuntz erinnert sich für unsere Reihe „Amtsgeschichte(n)“.

Am 1. Mai 2004 erlebte die Europäische Union den größten Zuwachs ihrer Geschichte. Aus bis dahin 15 Mitgliedstaaten wurden auf einen Schlag 25. Unser Kollege Eckart Cuntz hat den Erweiterungsprozess im Dienst begleitet und erinnert sich für unsere „Amtsgeschichte(n)“.

Volksfest in Slubice in der Nacht zum 1. Mai 2004
Volksfest in Slubice in der Nacht zum 1. Mai 2004© dpa/Picture Alliance

„Wenn man die ganze Entwicklung vom Mauerfall bis dahin miterlebt hat – dann war das natürlich eine große Freude,“ erinnert sich Eckart Cuntz an die Nacht auf den 1. Mai 2004.

Damals war er als Direktor der Europaabteilung im Auswärtigen Amt mit dem damaligen Außenminister Joschka Fischer bei den Feierlichkeiten an der deutsch-polnischen Grenze dabei: Feuerwerk, Menschenmengen, großer Jubel.

Begonnen hatte die Geschichte für ihn jedoch schon Jahre zuvor, als er als deutscher Diplomat mit der Perspektive der EU-Osterweiterung befasst war.


Die Wendezeit bringt den Prozess in Gang

„Für mich hat es im Grunde genommen angefangen, als ich im Jahr 1987 nach Brüssel an die Ständige Vertretung kam,“ erzählt Cuntz. Damals sei auch schon diskutiert worden: „Was tun wir - damals Europäische Wirtschaftsgemeinschaft - mit den Staaten in Mittel- und Osteuropa? Und parallel vollzog sich Glasnost und Perestroika und es kam das Jahr 1989 ...“.

Nach dem Mauerfall war das natürlich das große Thema in Brüssel: Was passiert denn jetzt, wenn eine Perspektive sich auftut für ein vereinigtes Deutschland? Was passiert, wenn sich eine Perspektive auftut auch für die ganzen anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, die diese Wende erlebten? Wir waren am Anfang natürlich auch etwas ratlos.

Mauerfall in Berlin am 09.11.1989
Mauerfall in Berlin am 09.11.1989© photothek.net/Imo

Der Europäische Rat im Dezember 1989 war das Zusammentreffen der EWG-Staats- und Regierungschefs, auf dem die Zukunft Deutschlands und der anderen Staaten im Umbruch erstmals besprochen wurde. Der Europäische Rat in Dublin im April 1990 schaffte dann klarere Perspektiven für die östlichen Teile Deutschlands.

Deutsche Wiedervereinigung unter europäischem Dach

An der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) saß Eckart Cuntz als Botschaftsrat in Arbeitsgruppen, die sich mit den Konsequenzen der Wende für Europäer und Deutsche befassten:

Es war so überwältigend. Es gab ja durchaus zögerliche Mitgliedstaaten, die nicht gleich von vornherein „Juchu“ gerufen haben. Einige andere, wie der spanische Premierminister González, haben sich von Beginn an dafür stark gemacht – und dafür sind wir Deutsche ihm ja auch immer dankbar gewesen.

Bundeskanzler Kohl habe dann sehr schnell klar gemacht, dass es eine deutsche Wiedervereinigung unter europäischem Dach geben sollte, sagt Cuntz - und ebenso weitere Integrationsschritte.

Keine Alternative zur Osterweiterung

Wertegemeinschaft: Deutschland in Europa
Wertegemeinschaft: Deutschland in Europa© dpa / picture alliance

Mit der Lösung für Deutschland - und dem Beitritt seines östlichen Teils zur EWG im Rahmen der Wiedervereinigung - wandte sich der Fokus weiter nach Osten: „Ich kann mich sehr gut erinnern an einen polnischen Botschaftsrat, später wurde er polnischer Ständiger Vertreter. Er kam praktisch alle zwei Tage zu mir, um zu sagen, 'Wir möchten auch, dass sich etwas entwickelt für uns.'“

Auch in der EU-Kommission habe man sich schnell Gedanken gemacht, erinnert sich Botschafter Cuntz: „Was für eine Art Abkommen könnte man vorsehen, um die mittel- und osteuropäischen Staaten, die diese Wende erlebt hatten, enger an die Europäische Union zu binden?“

Das Instrument des Europäischen Wirtschaftsraums - laut Cuntz „eine Art Warteraum“ - habe den Ländern in Mittel- und Osteuropa aber nicht gereicht: „Nein, das war für diese Länder natürlich überhaupt nicht genug, sie wollten auf den Beitritt zusteuern.“


Alle auf einmal aufnehmen?

Botschafter Cuntz erinnert sich an die Diskussionen von damals: „Natürlich war die Vorstellung – auch bei vielen in Deutschland – gewesen: “Wir können ja nicht gleich alle neuen Demokratien aufnehmen, die sind doch noch gar nicht soweit. Vielleicht können wir erstmal drei oder vier aufnehmen. Wie machen wir das? Das wurde natürlich in den Hauptstädten und in Brüssel diskutiert.„

Botschafter Eckart Cuntz
Botschafter Eckart Cuntz© ZAMAN

Hier sei es vor allem um die Konsequenzen für bereits bestehende Gemeinschaft gegangen, so Cuntz: “Können wir so schnell vorangehen, überfordern wir uns nicht? Sind die Staaten, die beitreten wollen erweiterungsfähig, aber ist auch die EU erweiterungsfähig und gefestigt genug? Das waren Fragen die stets gestellt wurden und die auch heute wieder gestellt werden.„

Die Tatsache, dass es Übergangsfristen, z.B. bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, geben würde, habe vielen Skeptikern die Sorgen nehmen können, so Cuntz. “Das Ziel war aber immer klar: volle Personenfreizügigkeit.„

10 über der Ziellinie

Von 1994 bis 1999 war Eckart Cuntz Kabinettschef des Generalsekreträrs des Rates der Europäischen Union in Brüssel. Dort hat er auch den Beitritt von Österreich, Schweden und Finnland 1995 miterlebt. Neue Impulse auch für das Thema Osterweiterung:

Die EU-Grenzen wandern nach Osten
Die EU-Grenzen wandern nach Osten© photothek.net/Imo

“Man fragte sich: Jetzt haben wir auch neutrale Staaten wie Finnland oder Schweden aufgenommen. Was sind denn jetzt noch politische Hinderungsgründe, auch die mittel- und osteuropäischen Staaten aufzunehmen?„

Die entscheidende Vorbereitung auf die Osterweiterung habe auf dem Europäischen Rat in Luxemburg 1997 stattgefunden. Die Beitritte sollten nach dem “Regatta-Prinzip„ erfolgen. Wer am schnellsten alle Beitrittskriterien erfüllt, kommt als erster in der EU an.

Ich selbst war immer der Überzeugung: Die Dynamik ist so groß. Diese Länder werden alle Anstrengungen unternehmen. Und der politische Druck auch innerhalb der Europäischen Union ist so groß, dass wenn die Kriterien erfüllt sind, diese Staaten auch beitreten werden. Das ist geschehen.

Das Zypern-Problem konnte damals - anders als erhofft - jedoch nicht gelöst werden. Bei einer Abstimmung stimmte der Süden gegen eine Wiedervereinigung nach dem Annan-Plan und der Norden dafür. “Was dazu führte, dass der Landesteil, der dafür gestimmt hat, außen vor blieb und der andere, der gegen die Vereinigung gestimmt hatte, der EU beitrat,„ berichtet Cuntz. “Heute haben wir immer noch ein geteiltes Zypern, auch wenn theoretisch ganz Zypern zur EU gehört. Ich habe aber noch nicht aufgehört, zu hoffen.„

Effekte der Ostererweiterung heute

“Ich erlebe natürlich heute eine gewandelte Welt und das ein gutes Verhältnis, das jetzt völlig ohne Misstrauen ist, mit den ganzen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU.„

Zwar sei die Europabegeisterung durch die Staatsschulden-Krise stark zurück gegangen, aber, so Cuntz: “Dennoch glaube ich, dass die meisten Menschen – auch gerade in Deutschland wissen – es gibt keine Alternative zu Europa.„

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