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„Erst mit den Jahren kommt die Verarbeitung“

04.04.2014 - Artikel

20 Jahre nach dem Beginn des Genozids in Ruanda erinnert sich unser Kollege Bernhard Abels für unsere „Amtsgeschichte(n)“ an seine Zeit in Kigali.

20 Jahre ist der Beginn des Völkermords in Ruanda heute her. Mehrere Monate war die deutsche Botschaft in Kigali Mitte des Jahres 1994 geschlossen. Unser Kollege Bernhard Abels gehörte zu den Ersten, die nach den schrecklichen Ereignissen wieder als Diplomaten in Ruanda arbeiteten.

Gedenktafel mit Namen der Verstorbenen
Gedenktafel mit Namen der Verstorbenen© dpa/picture-alliance

„Als ich ankam, da war die Zeit der Ernährung aus Bundeswehrrationen vorbei“, erinnert sich Bernhard Abels, „und die Diplomaten-WG in der einzigen ungeplünderten Dienstwohnung wurde allmählich aufgelöst.“

Noch sehr genau erinnert er sich an den 1. Oktober 1994. Damals flog er als neuer stellvertretender Botschafter von Kampala nach Kigali, wo er zuvor noch nie gewesen war: „Ich glaube, das war der fünfte Linienflug nach dem Krieg, der dort ankam. Als ich morgens ausstieg, hatte es gerade geregnet. Es war sonnig und man sah die grünen Hügel des Landes.“

Neustart nach dem Genozid

See beim Volcano-Nationalpark in Ruanda
See beim Volcano-Nationalpark in Ruanda© dpa/picture-alliance

Ein schönes Land sei Ruanda. Ein Land, das - so Bernhard Abels – auch zu Recht den Ruf habe, ein „sehr gut organisiertes Land“ zu sein. Und doch ein Land, in dem seit dem Frühjahr 1994 binnen weniger Monate bis zu eine Million Menschen ermordet wurden. „Die Stadt war relativ wenig zerstört. Die Gewalt richtete sich hauptsächlich gegen Menschen.“

Auslöser für die Massaker von Hutu-Extremisten an der Tutsi-Minderheit und gemäßigten Hutus war ein Flugzeugabsturz am 6. April 1994. Unbekannte hatten die Maschine abgeschossen, in der der ruandische Präsident Júvenal Habyarimana und der Präsident Burundis, Cyprien Ntaryamira – beide Hutu – saßen. Am 7. April begann das Morden (mehr zu den Hintergründen hier).

Das Schicksal der Flüchtlinge

Blick auf Ruandas Hauptstadt Kigali
Blick auf Ruandas Hauptstadt Kigali© photothek.net

Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge suchten in der Folgezeit unter dramatischen Bedingungen in den Nachbarländern Schutz. Ausländische Diplomaten verließen das Land, die Ortskräfte der Botschaft blieben in Kigali oder versuchten, ebenfalls ins Ausland zu gelangen.

Bernhard Abels erinnert sich:

Wir hatten einen VW-Bus als Dienstwagen, der hatte Einschusslöcher. Er war von einer früheren Ortskraft der Botschaft genommen worden, um damit nach Burundi zu fliehen. Die Ortskraft kehrte nicht zurück, hat aber den Wagen bei der Botschaft in Bujumbura abgegeben - der dann auch nach Kigali zurückkehrte und weiter verwendet wurde.

Die Gebäude der deutschen Botschaft seien überraschenderweise nicht geplündert und nur wenig beschädigt worden. „Eine Ortskraft hatte es offenbar geschafft, sich im Wassertank vor den Mördern zu verstecken“, berichtet Bernhard Abels. Zum Teil hätten die Ortskräfte, wie auch andere Tutsi mit festen Jobs in Kigali, Verwandte aus der Hauptstadt fort aufs Land geschickt. Bei früheren Unruhen galt das als sicherer Ort: „Das erwies sich aber als schrecklicher Irrtum, weshalb sie zum Teil ihre gesamte Familie verloren haben.“

Begegnung mit den Kriegsfolgen

Die Knochen von Opfern des Völkermords im Gedenkzentrum in Kigali
Die Knochen von Opfern des Völkermords im Gedenkzentrum in Kigali© dpa/picture-alliance

Im Zentrum seiner Arbeit in Kigali ab Herbst 1994 stand für Bernhard Abels die Entwicklungszusammenarbeit. Projekte für Witwen und Waisen zum Beispiel: „Da die ethnische Zugehörigkeit in Ruanda über den Mann vererbt wird, wurden mehr Männer umgebracht als Frauen. Frauen wurden dagegen oft vergewaltigt, weshalb viele Witwen doppelt tief traumatisiert waren.“

Natürlich, so Abels, habe es im Arbeitsalltag auch immer wieder die Begegnung mit den Folgen des Krieges gegeben. Vor allem bei den Öffnungen von Massengräbern, die oft in Gegenwart von diplomatischen Vertretern gemacht wurden.

Es gab mehrere Zeremonien dazu, sozusagen als Beerdigung, als Erinnerungsveranstaltung an den Genozid. Meine erste war im Landesinneren an einer Station, wo auch deutsche Ordensschwestern tätig waren. Ich kann mich heute noch daran erinnern, wie die Knochen zum Teil in den Löchern lagen. Als ich über eine Wiese ging und plötzlich stolperte, war ich über eine Schädeldecke gestolpert. Und natürlich ist es der Geruch, der noch sehr lange in der Nase bleibt.

Langer Zeitraum der Verarbeitung

Bernhard Abels, zzt. Generalkonsulat San Francisco
Bernhard Abels, zzt. Generalkonsulat San Francisco© AA

„Merkwürdigerweise hat mich das damals, mit 29, noch gar nicht so mitgenommen“, erzählt Bernhard Abels. Heute ist er stellvertretender Generalkonsul in San Francisco, weit weg von Ruanda. Den Film „Hotel Ruanda“ habe er sich jedoch bis heute nicht anschauen wollen und die Zeit auf Posten in Kigali hat ihn auch nach seiner Rückkehr nicht losgelassen: „Ich habe am 6. April 2004 im Auswärtigen Amt eine kleine Gedenkveranstaltung besucht. Dort hat eine Überlebende erzählt. In diesem Moment, zehn Jahre später, hat mich das plötzlich sehr stark mitgenommen.“

Im Nachhinein muss ich sagen, es war hauptsächlich in den Augen, im Blick der Überlebenden. Das waren Leute, die vordergründig sehr gut funktioniert haben und sehr freundliche Menschen waren. Aber wenn man genauer schaute, merkte man, dass die Verzweiflung tief saß.

Auch jetzt stehe die internationale Gemeinschaft noch regelmäßig vor der Frage, wann und in welcher Form sie sich in Kriegs- und Krisenländern engagiere. Jeder Fall sei anders, sagt Abels, aber: „Ich frage mich bis heute, ob im Falle von Ruanda nicht eine frühe, energische Intervention sehr vielen Menschen das Leben gerettet hätte.“

Mehr zu den deutsch-ruandischen Beziehungen

Homepage der deutschen Botschaft in Kigali

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