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Der lange Weg zum Dayton-Abkommen

13.12.2013 - Artikel

14. Dezember 1995: Das Friedensabkommen von Dayton wird unterzeichnet. Unser Kollege Christian Clages erinnert sich in unserer Serie „Amtsgeschichte(n)“.

Als im Herbst 1995 der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zu Ende ging, war Bosnien und Herzegowina ein zerstörtes und zerrissenes Land. Das am 14. Dezember in Paris unterzeichnete Friedensabkommen von Dayton hat den Krieg formell beendet. Unser Kollege Christian Clages, heute Botschafter in Beirut, war bei den Verhandlungen dabei.

Die damaligen Präsidenten der Kriegsparteien vor der Paraphierung
Die damaligen Präsidenten der Kriegsparteien vor der Paraphierung© dpa/picture-alliance

„Wir erwarteten, einige Tage in Abgeschiedenheit zu verbringen, und waren dann überrascht, als wir nach drei Wochen immer noch nicht zum Schluss gekommen waren“, erinnert sich der deutsche Diplomat Christian Clages an die Verhandlungen von Dayton. Während des Krieges war er auf Posten in Kroatien und Bosnien gewesen, kurz nach seiner Rückkehr nach Bonn reiste er als Mitglied der deutschen Delegation zu den Friedensverhandlungen in die USA. Der Startschuss fiel schließlich am 1. November 1995 auf einem US-Luftwaffenstützpunkt in Dayton, Ohio. Diesmal sollte es endlich klappen mit einer diplomatischen Friedenslösung für Bosnien, sagt Clages:

Der entscheidende Unterschied zu den Versuchen, die in den dreieinhalb Jahren Krieg vorher gemacht wurden, war, dass die Parteien kriegsmüde und mittlerweile überzeugt waren, dass es eine militärische Lösung des Bürgerkrieges nicht geben würde. Zum ersten Mal hielt ein Waffenstill-stand, nachdem die NATO im Spätsommer 1995 massiv eingegriffen und Stellungen der bosnischen Serben aus der Luft angegriffen hatte. Um Sarajewo herum stellten schnelle Reaktionskräfte der NATO mit Artillerie sicher, dass die schweren Waffen der Serben nicht mehr zum Einsatz kamen. Der Westen machte damit klar, dass man sich von den Kriegsparteien nicht mehr vorführen lassen wollte. -

Scheitern ausgeschlossen?

Christian Clages
Christian Clages© AA

Niemand habe sich vorstellen wollen, so Clages, Dayton ohne Abkommen wieder zu verlassen: „Die Stimmung war zu Beginn gut. Alle Seiten wollten zu einem Frieden kommen, und die grundsätzlichen Parameter - Erhalt des Staates Bosnien und Herzegowina bei gleichzeitiger Einrichtung zweier Entitäten mit einer weitreichenden Selbstverwaltung - waren vorher in Genf und New York vereinbart worden.“ Der Erfolgsdruck jedenfalls war groß, als sich die Vermittler und die Kriegsparteien zur Eröffnungssitzung am 1. November um den runden Tisch versammelten. Als Gastgeber saß dort der US-Vermittler Richard Holbrooke, daneben die Präsidenten Milosevic (Serbien), Izetbegovic (Bosnien) und Tudjman (Kroatien) sowie der Bosnien-Beauftragte der EU, Carl Bildt. Hinzu kamen Vertreter Russlands und der EU-Kontaktgruppe, bestehend aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Christian Clages erinnert sich:

Alle, die dort waren, hatten – aus durchaus unterschiedlichen Gründen – daran Interesse, zu einem Friedensschluss zu kommen. Milosevic, der die Sanktionen gegen Serbien aufgehoben haben wollte. Tudjman aus Zagreb, der sich eine Lösung der Ostslawonien-Frage erhoffte, die in Dayton auch erreicht wurde. Izetbegovic, der sich darüber klar war, dass es mit einem weiteren Fortgang des Krieges immer schwieriger werden würde, das Land und seine Menschen wieder zusammenzubringen und die Wunden heilen zu lassen.

Nach der Eröffnung in Dayton habe man sich nur noch in kleinen Gruppen getroffen, so Clages: „Von da ab wurden es 'Proximity Talks' im Sinne des Wortes. Verhandler, die zwischen den Parteien hin und her pendelten. Plenarsitzungen gab es nicht mehr. Das Entscheidende lief in bilateralen Gesprächen ab.“

Erster Schritt: Das Föderationsabkommen

Die Lokalzeitung in Dayton berichtet über den Abschluss des Föderationsabkommens (11.11.1995)
Die Lokalzeitung in Dayton berichtet über den Abschluss des Föderationsabkommens (11.11.1995)© AA

Die deutsche Delegation unter Leitung von Wolfgang Ischinger, Botschafter a.D., und Michael Steiner, jetzt Botschafter in Neu Delhi, bearbeitete in Dayton in den ersten Tagen das Spezialthema eines Föderationsabkommens zwischen bosnischen Kroaten und bosnischen Muslimen (Bosniaken). Hier ging es um die Ausgestaltung der bosniakisch-kroatischen Föderation und das Statut der Stadt Mostar. „Wir haben es dann geschafft, die Parteien auf einen über zehn Seiten langen Text einzuschwören.“

In dem Moment, als es fertig war, beschreibt Clages, habe Holbrooke sich das Papier angeschaut und gesagt: „Wow, that’s real stuff!“ Denn er habe gesehen, „dass die Föderationsvertreter sich schon über die Verteilung von Kompetenzen zwischen Zentralregierung und Föderation geeinigt und damit ein wesentliches Element der Verfassung vorschattiert hatten.“ Am 10. November wurde das Föderationsabkommen in Dayton unterzeichnet.

Dramatische Verhandlungen

Die von der deutschen Delegation nach Bonn übermittelten Drahtberichte lieferten neben Sachinformationen auch einen Eindruck von den zunehmend mühsamen Gesprächen. Am 14. November hieß es darin: „In Dayton wird es weder Mittwoch noch Donnerstag zu einem Abschluss kommen... Wir gehen jetzt von einem Ende der Veranstaltung - mit oder ohne Erfolg - am Samstag aus.“

Sarajewo mit Blick auf einen Friedhof
Sarajewo mit Blick auf einen Friedhof© dpa/picture-alliance

17. November: „Die Hängepartie in Dayton ist leider noch immer nicht zu Ende... Ein Scheitern in letzter Minute ist nicht ausgeschlossen.“

20. November: Die USA und die gesamte Kontaktgruppe wurden am frühen Morgen des Montags mit einer für alle völlig überraschenden krisenhaften Entwicklung der Verhandlungen in allerletzter Minute konfrontiert...„.

Christian Clages erinnert sich, dass letzte Unstimmigkeiten über die Landkarte mit einem Verteilungsschlüssel von 51 Prozent für die Föderation und 49 Prozent für die Serbische Republik (Republika Srpska) fast das Ende des Verhandlungsprozesses bedeutet hätten.

Am Montag hatten wir alle die Koffer gepackt und jeder hatte damit abgeschlossen, dass wir zu einem positiven Ende kommen würden. Die Gefahr, unverrichteter Dinge abzureisen, war sehr real.

Die Gespräche gingen schließlich doch noch weiter; auch die deutschen Diplomaten vermittelten in Einzelgesprächen. Die USA standen kurz davor, die Zusammenkunft für beendet zu erklären. Am 21. November konnte jedoch um 13.35 Ortszeit nach Bonn gemeldet werden: “Nach dramatischen Schlussverhandlungen zur Karte, in denen am Ende nur noch Brcko offen war und viele bereits aufgeben wollten, ist heute früh, wie telefonisch vorab mitgeteilt, doch noch der Durchbruch gelungen.„ Christian Clages dazu:

Ich erinnere keine Euphoriegefühle, aber Erleichterung, nach drei Wochen nicht mit leeren Händen aus Dayton abzureisen. Aber die Zukunft drohte schwierig und angesichts der Heraus-forderung der Umsetzung des Friedensabkommens unsicher zu sein. -

Carl Bildt, erster Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (1995)
Carl Bildt, erster Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (1995)© dpa/picture-alliance

Zwei Wochen nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens am 14. Dezember in Paris zog Christian Clages zurück nach Sarajewo - als Mitarbeiter im Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft für Bosnien und Herzegowina, Carl Bildt.

“Ich kam am 28.12. an und war zusammen mit dem britischen Militärberater Carl Bildts der Erste. Wir bezogen unsere Büroräume. Scheiben existierten nicht, wir hatten vor den Fenstern Plastikfolie - es war extrem kalt. Aber ich war zurück in Sarajewo! Eigentlich war ich froh, wieder bei meinen Freunden zu sein - und diesmal zum ersten Mal im Frieden.„

Teil 3 unserer Serie “Amtsgeschichte(n)„ - Der Weg zum Dayton-Abkommen: Durch das am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnete “Rahmenübereinkommen für Frieden in Bosnien und Herzegowina„ wurde der Krieg im ehemaligen Jugoslawien formell beendet. Das Abkommen war zuvor drei Wochen lang in Dayton (USA) mühsam ausgehandelt worden, bevor es am 21. November 1995 von den Präsidenten Milosevic (Serbien), Tudjman (Kroatien) und Izetbegovic (Bosnien) paraphiert werden konnte. Die Bundesregierung hat sich als Mitglied der europäischen Bosnien-Kontaktgruppe aktiv an diesem Prozess beteiligt.

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