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Das Protokoll der Wannseekonferenz – ein Dokument mit einer besonderen Geschichte

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Das Politische Archiv verwahrt das einzig erhaltene Protokoll der Konferenz am Wannsee, bei der vor 80 Jahren die Ermordung der Juden in Europa besprochen wurde. Für das Auswärtige Amt nahm daran Unterstaatssekretär Martin Luther teil. Das Dokument hat eine bewegte Geschichte.


In der Rauchstraße 11 in Berlin-Tiergarten arbeiteten deutsche Diplomaten an der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Archivsignatur: PA AA S 2/1647
In der Rauchstraße 11 in Berlin-Tiergarten arbeiteten deutsche Diplomaten an der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Archivsignatur: PA AA S 2/1647 © AA

Unter den unzähligen Dokumenten, die im Politischen Archiv verwahrt werden, ist das vielleicht bekannteste das Protokoll jener Konferenz vor 80 Jahren, die am 20. Januar 1942 am Wannsee stattfand. Kaum ein anderes einzelnes Aktenstück in dem an wichtigen Dokumenten zur deutschen Außenpolitik wirklich nicht armen Politischen Archiv ist so intensiv beforscht worden wie das Wannseeprotokoll.

Ursprünglich hatte es 30 hektographierte und nummerierte Exemplare des Wannseeprotokolls gegeben. Die 16. Ausfertigung erhielt am 2. März 1942 der Unterstaatssekretär Martin Luther, der im Auswärtigen Amt für die „Endlösung der Judenfrage“ zuständig war, und deshalb an der Konferenz teilgenommen hatte. Sein Büro und die Diensträume seiner Mitarbeiter befanden sich in der Berliner Rauchstraße 11, rund drei Kilometer vom Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße entfernt. Es gibt keine Belege dafür, dass das Protokoll im Ministerium breit rezipiert worden wäre, wohl aber dafür, dass es selbst und sein wesentlicher Inhalt bald bekannt waren. In der Rauchstraße begann für das Dokument eine wahre Odyssee, die es als Wunder erscheinen lassen, dass ausgerechnet dieses Exemplar als einziges überliefert ist.

Luther scheiterte im Frühjahr 1943 mit einem amtsinternen Putsch gegen Reichsaußenminister Ribbentrop, kam in Haft und seine Arbeitseinheit wurde umstrukturiert. Das Protokoll befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Registratur der Inlandsabteilung des Auswärtigen Amts. Als im August 1943 Altakten von Luthers Abteilung ins Archiv kamen, war das Protokoll nicht darunter. Es wurde mitgenommen, als im April 1944 die Beamten wegen der Bomben Berlin verließen und ihre Ausweichquartiere im Riesengebirge aufschlugen. Von hier wurden die „Geheimen Reichssachen“, zu denen auch das Wannseeprotokoll gehörte, im Januar 1945 nach Bad Berka in Thüringen abtransportiert. Bald darauf tauchten vier Kisten mit Akten, auch solchen „zur Judenfrage“, im Marburger Schloss auf. Amerikanische Truppen hatten diese und sämtliche archivierten Akten des Auswärtigen Amts, insgesamt mehr als 400 Tonnen, beschlagnahmt und sie aus Thüringen weggebracht, bevor sie das von ihnen besetzte Gebiet den Sowjets übergaben. Auch das Wannseeprotokoll befand sich in einer der Kisten, in einem Schnellhefter mit der Aufschrift „Endlösung der Judenfrage“. Sofort versuchten die Amerikaner die Akten zu ordnen, um sie für die geplanten Kriegsverbrecherprozesse zu nutzen.

Unterstaatssekretär Martin Luther, 1895-1945, nahm am 20. Januar 1942 an der Wannseekonferenz teil, PA AA S 2/7253
Unterstaatssekretär Martin Luther, 1895-1945, nahm am 20. Januar 1942 an der Wannseekonferenz teil, PA AA S 2/7253 © AA

Auf die Dauer aber war Marburg zu klein, so brachte man die Dokumente in den amerikanischen Sektor Berlins. Hier „entdeckte“ man das Protokoll am 4. Dezember 1946, dem Tag seiner ersten fotografischen Aufnahme. Für den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg kam diese Entdeckung zu spät, im Prozess gegen Ernst von Weizsäcker und andere, zwei Jahre später, spielte das Protokoll dagegen eine wichtige Rolle.

Die russische Blockade Berlins beendete die alliierte Mikroverfilmung zunächst. Die Luftbrücke brachte Kohle und Rosinen in die Stadt, die Flieger nahmen dafür Müll und Akten mit heraus. Diese kamen nun für viele Jahre nach Südengland. Auf dem Landsitz Whaddon Hall hatte während des Krieges der britische Geheimdienst MI6 Quartier bezogen, jetzt lagerten hier die beschlagnahmten Akten. Die Alliierten verfilmten nun im großen Stil, auch mehrfach das Wannseeprotokoll.

Vergleicht man heute die Filmkopien von damals mit dem Original im Archiv stellt man erstaunliche Unterschiede fest. Verschiedene Anstreichungen sind auf den alten Aufnahmen nicht zu sehen. Da die Markierungen am und im Text solche Stellen kennzeichnen, die das Auswärtige Amt und sein Mitwirken bei der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden betreffen, könnte man leicht auf Bearbeitungsspuren aus der Entstehungszeit des Dokuments schließen. Offensichtlich sind jedoch viele Striche erst später angebracht worden. Aber von wem?

Nachdem die Akten aus alliiertem Gewahrsam zurück nach Deutschland gekommen waren, setzte sofort die wissenschaftliche und die juristische Beforschung der Unterlagen ein. Ließen sich die Historiker im Lesesaal des Archivs noch wirksam kontrollieren, war dies bei den Juristen nicht gut möglich. Staatsanwälte und Richter wünschten Einblick in die Originalakten, und das am besten nicht im Archiv, sondern am heimischen Schreibtisch. Meist konnten sich die Amtsarchivare diesen Erwartungen widersetzen. Am weitesten kamen sie 1968 den Juristen im Verfahren gegen Adolf Beckerle und Fritz-Gebhardt von Hahn entgegen. Den beiden Diplomaten wurde die Beteiligung am Judenmord in Südosteuropa vorgeworfen.

Für den Prozess wurden Dutzende Akten des Auswärtigen Amts verschickt. Die ermittelnden Staatsanwälte schoben sie zudem munter zwischen Orten und Dienststellen hin und her. Als die Unterlagen später wieder in Bonn eintrafen, waren die Schäden und das Entsetzen darüber groß. Für die Beschwerden des Archivleiters Heinz Günther Sasse zeigte die Justiz kein rechtes Interesse. Und die Eingriffe ins Wannseeprotokoll fielen erst Wochen später auf.

Seit 1960 war im Auswärtigen Amt eine internationale Historikerkommission mit der Publikation der „Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945“ betraut gewesen. Als die Editoren an das Wannseeprotokoll kamen, entdeckten sie den eingetretenen Schaden. Auf sieben von 15 Seiten waren mit Bleistift oder Kugelschreiber Zeichen angebracht worden, die es auf den Filmen der Jahre 1946 und 1956 noch nicht gegeben hatte. Die große Mehrzahl aller Markierungen sind also keine Bearbeitungsspuren aus dem Jahr 1942, sondern stammen aus dem Jahr 1968. Der Vermerk vom 10. September 1968 hierüber wurde damals nicht zu den Akten genommen, Sasse ließ ihn in seinen Unterlagen verschwinden, erst vor einigen Jahren wurde er in seinem Nachlass entdeckt.

Gleich auf der ersten Seite hatte sich jemand die Worte „Auswärtiges Amt“ angestrichen. Ein Ausrufezeichen kennzeichnet heute den Satz: „Das Aufgabenziel war, auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern.“ Zwei verschiedene Juristen unterstrichen sich hier außerdem das Adjektiv „legale“. Auch dass für den gesamteuropäischen Mordplan „rund 11 Millionen Juden in Betracht“ kamen, wurde unterstrichen. Das „der Beginn der einzelnen größeren Evakuierungsaktionen“, so der Euphemismus für die Deportationen in den Tod, „von der militärischen Entwicklung abhängig“ gemacht wurde, war ebenso eine Unterstreichung wert wie die Feststellung im Protokoll, dass „das Auswärtige Amt für den Südosten und Westen Europas keine großen Schwierigkeiten“ sehe. Ein Fragezeichen schrieben die Juristen an die Äußerung des SS-Gruppenführers Hofmann, dass ein „Mischling, vor die Wahl gestellt, ob er evakuiert oder sterilisiert werden soll, sich lieber der Sterilisation unterziehen würde“.

Beckerle wurde damals krankheitsbedingt nicht verurteilt, Hahn musste eine achtjährige Haftstrafe absitzen. Tatsächlich war die Wannseekonferenz im Urteil ausführlich herangezogen und die im Protokoll angestrichenen Stellen waren auch zitiert worden. Selbst wenn damals das Wannseeprotokoll noch nicht mit der besonderen Bedeutsamkeit aufgeladen war, wie es das heute ist, bleiben die Eingriffe in das historische Dokument gleichwohl ein Skandal. Der Band mit dem Wannseeprotokoll wurde seitdem nicht mehr im Original vorgelegt, er ruht in einem Tresor des Politischen Archivs. Für die Forschung steht im Recherchetool invenio ein Digitalisat zur Verfügung. Das Wannsee-Protokoll ist das bekannteste, aber wohl leider nicht das einzige Archivale des Politischen Archivs, an dem die Benutzung nicht spurlos vorbeigeht.


Die dritte Seite des Wannseeprotokolls heute - seit 1968 mit Bearbeitungsspuren deutscher Juristen, Archivsignatur: PA AA RZ 214/100857
Die dritte Seite des Wannseeprotokolls heute - seit 1968 mit Bearbeitungsspuren deutscher Juristen, Archivsignatur: PA AA RZ 214/100857 © AA

Regest und Formalbeschreibung

Berlin, 1942 [Januar 20]

Die Teilnehmenden der Wannseekonferenz planen die Vorbereitung und Durchführung des systematischen Völkermords an allen europäischen Jüdinnen und Juden.

PA AA RZ 214/100857.

Gesprächsprotokoll (Seite 3), Ausfertigung (Nr. 16), DIN-A4, 15 Blatt gelocht, Vorderseiten in Maschinenschrift beschrieben, im Dokumentenkopf oben rechts Paginierungsstempel „168“, unten mittig und unten rechts Paginierungsstempel „K210402“ und „372026“, oben mittig Seitenzählung des Dokuments „-3-“, händische Unterstreichungen des Textes mit Bleistift und Kugelschreiber, vorletzte Zeile rechts neben dem Text ein handschriftliches Ausrufezeichen.

Der Inhalt dieser Präsentation steht unter einer Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

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