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„Nicht nur ein Bündel juristischer Paragraphen“
1925: Die Konferenz und der Vertrag von Locarno

Vor 100 Jahren, im Oktober 1925, fand in der kleinen Schweizer Stadt Locarno eine Konferenz statt, die zu einem längerfristigen Frieden in Europa beitragen sollte. Es trafen die führenden Staatsmänner Italiens, Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Polens, der Tschechoslowakei und Deutschlands zusammen, um ein europäisches Sicherheits- und Friedenssystem zu begründen.
Vorgeschichte:
Im Jahr 1925 regierte im Deutschen Reich der parteilose Reichskanzler Hans Luther unter Einbeziehung der DVP, DDP, BVP, DNVP und dem Zentrum. Außenminister Gustav Stresemann, DVP, verfolgte in seiner Amtszeit (1923-29) eine Außenpolitik, die durch Verhandlungen und Verständigung den Versailler Vertrag in Teilen revidieren und Deutschland wieder auf die politische Weltbühne zurückbringen sollte. Anfang 1925 schlug er Großbritannien und Frankreich in Memoranden den Abschluss eines Nichtangriffs- und Schlichtungsvertrags vor, dem Garantiemächte beitreten sollten (ADAP, Serie A, 12, S. 85 ff, S. 200 ff ). Es folgten daraufhin Notenwechsel mit England und Frankreich und Vorverhandlungen für den Vertrag durch einen Kreis von Experten in London.
Die Konferenz:
Am 3. Oktober 1925 berichtete die Vossische Zeitung in Berlin über die Abfahrt der Delegation nach Locarno, die unter strenger Geheimhaltung um 21.20 Uhr am Vorabend mit einem Sonderzug vom Anhalter Bahnhof aufgebrochen war. Die deutsche Delegation unter Teilnahme von Reichskanzler Luther und Außenminister Stresemann war mit über 30 Personen fast so groß wie die britische Delegation, die die meisten Teilnehmer entsandt hatte. Locarno war als Verhandlungsort bestimmt worden, da die Schweiz sich als neutraler Konferenzstaat anbot. Für Italien als ständiges Mitglied des Völkerbundrats bot die Stadt im Tessin eine akzeptable Anreiseentfernung.

Die Konferenz am 5. Oktober begann mit dem Einzug der Delegationen und einer Eröffnung durch Bürgermeister Rusca, der die besten Willkommensgrüße der Bevölkerung Locarnos überbrachte und einen glücklichen Ausgang der Konferenz wünschte. Die darauffolgende Erklärung des britischen Premierministers Chamberlain offenbarte eine neue Art der Zusammenarbeit, die einen „möglichst freien und unformellen Charakter behalten“ sollte. Der Vorschlag auf einen Vorsitz zu verzichten und damit in „völliger Gleichheit zusammenzukommen, indem jeder nach besten Kräften zu dem Erfolge unseres gemeinsamen Werkes beiträgt, das den Frieden und das Gedeihen Europas zum Ziele hat“ (Akten der Reichskanzlei, Die Kabinette Luther I/II, Band 2., Dokumente Nr. 172), wurde von den Delegierten angenommen. Genaue Details zum Ablauf der Verhandlungen lassen sich aus der Perspektive des deutschen Außenministers in den Tagebuchaufzeichnungen von Gustav Stresemann finden. Den Auftakt der Verhandlungen erlebte er als höflich mit gewisser, sich steigernder Wärme (ADAP, Serie A, 14, S. 690).
Der Vertrag:
Die Verhandlungen dauerten bis zum 16. Oktober. Im Ergebnis verzichteten Deutschland, Frankreich und Belgien gegenseitig auf die gewaltsame Veränderung ihrer Grenzen. Deutschland akzeptierte die im Vertrag von Versailles festgelegte deutsche Westgrenze zu Frankreich und Belgien, verzichtete auf Elsass-Lothringen und bestätigte die Entmilitarisierung des Rheinlands. Im Fall einer Verletzung des Vertrags erklärten sich Großbritannien und Italien bereit, der geschädigten Seite beizustehen (sogenannter Rheinpakt). Die Bestimmungen des Versailler Vertrags im Osten, insbesondere die Abtretungen Posens, Oberschlesiens und eines großen Teils Westpreußens sowie den Status von Danzig und die Korridorlösung, konnte die Reichsregierung nicht anerkennen. Schiedsverträge Deutschlands mit Polen und der Tschechoslowakei sahen vor, dass Grenzstreitigkeiten zwischen den Ländern durch eine internationale Kommission bereinigt werden sollten, deren Bildung in den Verträgen festgelegt wurde.

Im Palazzo del Pretorio in Locarno wurde der Vertrag am 16. Oktober 1925 paraphiert, die endgültige Zeichnung erfolgte nach Zustimmung der Parlamente. Die Paraphierung legte bereits den Wortlaut der Verträge fest. Schon auf der Schlusssitzung der Konferenz hatte Stresemann den 1. Dezember als Tag der Unterzeichnung vorgeschlagen, weil der Reichstag nicht vor November zusammentreten könne. Auf der siebten Sitzung in Locarno war Einverständnis darüber erzielt worden, dass diese Unterzeichnung in London stattfinden werde. Innenpolitisch stürzte der Vertrag das Kabinett Luther in eine Regierungskrise, da die DNVP die Zustimmung im Reichstag ablehnte und aus der Regierung ausschied. Für die Ratifizierung war das Kabinett auf die Zustimmung der SPD angewiesen, die dem Vertragswerk zum Erfolg verhalf.

Anlässlich der Vertragsunterzeichnung in London bezeichnete der deutsche Außenminister auf seiner Rede am 1. Dezember 1925 den Vertrag „… nicht eine juristische Konstruktion politischer Gedanken, sondern ich sehe in dem Werk von Locarno die Basis einer großen Zukunftsentwicklung. Die Staatsmänner und Völker bekennen sich darin zu dem Willen, dem Menschheitssehnen nach Frieden und Verständigung den Weg zu bereiten. Wäre der Pakt nichts als ein Bündel von Paragraphen, so würde er nicht halten. Die Formen, die er zu finden sucht für das Zusammenleben der Völker, werden nur Wirklichkeit werden können, wenn hinter ihnen der Wille steht neue Verhältnisse in Europa zu schaffen, …“ (Gustav Stresemann, Reden, hrsg. u. bearb. von Wolfgang Elz, Mainz 2020, S. 464).
Gleichzeitig wurde auf der Konferenz der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund beschlossen, der im September 1926 erfolgte. Für ihre Zusammenarbeit bei den Verträgen von Locarno erhielten Gustav Stresemann und der französische Außenministers Aristide Briand 1926 den Friedensnobelpreis.
Das umfangreiche Vertragswerk besteht insgesamt aus fünf Verträgen und Übereinkommen:
- Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien, auch Westpakt oder Vertrag von Locarno genannt
- Schiedsabkommen zwischen Deutschland und Belgien
- Schiedsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich
- Schiedsabkommen zwischen Deutschland und Polen
- Schiedsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei
Sie traten gemäß Schlussartikel nach der Aufnahme des Deutschen Reichs in den Völkerbund sowie der Ratifikation am 14. September 1926 in Kraft. Mit der Remilitarisierung des Rheinlands zehn Jahre später verlor das „Bündel juristischer Paragraphen“ seine Wirksamkeit.

Das Fotoalbum zur Konferenz wurde im Nachgang aus Schwarzweißfotografien, Zeitungsausschnitten und Karikaturen von Oktober bis Dezember 1925 im Auswärtigen Amt zusammengestellt und ist jetzt in der Bildersammlung des Politischen Archivs zugänglich. Es enthält insgesamt 79 Blatt. Die meisten der Fotografien wurde von Georg Pahl, dem Gründer der Fotoagentur „A-B-C-Aktuelle-Bilder-Centrale“, angefertigt, der sich als Fotograf vor allem auf wichtige politische Ereignisse konzentrierte. Die Glasnegative liegen heute im Bundesarchiv im Bestand Bild 102. Im Nachgang wurden von dem Privatsekretär von Gustav Stresemann, Herny Bernhard, einige Positive aus dem Album entfernt und in den Nachlass von Gustav Stresemann überführt, der sich auch im Politischen Archiv befindet.
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Quellen und Literatur:
Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945, Serie A, 12, Göttingen, 1950 - 1995, S. 85 ff, S. 200 ff.
Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945, Serie A, 14, Göttingen, 1950 - 1995, S. 690.
Akten der Reichskanzlei, Die Kabinette Luther I/II, Band 2., Dokumente Nr. 172, Erste Sitzung der Konferenz von Locarno [Entwurf eines Sicherheitspakts] https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0pa/lut/lut2p/kap1_1/kap2_2/para3_1.html (Letzter Abruf 5.9.2025).
Rede anlässlich der Vertragsunterzeichnung in London vom 1. Dezember 1925, zitiert nach der Edition der Stresemann Gesellschaft: Gustav Stresemann, Reden, hrsg. u. bearb. von Wolfgang Elz, Mainz 2020. S. 464. https://neuestegeschichte.uni-mainz.de/forschung/stresemann-reden/ (Letzter Abruf 5.9.2025).
Grützmacher, Christoph, Verständigung und Revision. Die Außenpolitik Gustav Stresemanns als Faktor innenpolitischer Stabilität am Beispiel der deutsch-französischen Beziehungen 1924-1929, Hagen 2016.