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Das „andere Deutschland“ besucht den Nachbarn
Bundespräsident Gustav Heinemann, seine Frau Hilda mit Königin Juliana der Niederlande und Prinz Bernhard im königlichen Schloss. Hinten: Prinzessin Beatrix und ihr Ehemann Claus von Amsberg (24.11.1969), © Bundesregierung/Detlef Gräfingholt
24. – 27. November 1969: Besuch von Bundespräsident Heinemann in den Niederlanden
Das deutsch-niederländische Verhältnis war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Nach einer Zeit von Gewalt, Vertreibungen und Repressalien während der fünfjährigen deutschen Besatzungszeit durchzog die niederländische Gesellschaft der 1950er Jahre eine grundlegende Skepsis gegenüber dem Nachbarn. Die Abneigungen und Vorbehalte äußerten sich im politischen und privaten Umgang sowie in einer intensiv gepflegten Fußballrivalität. Erst in den 1960er Jahren kam es zu Zeichen der Entspannung und mit Ludwig Erhard reiste 1964 erstmals ein Bundeskanzler in das Nachbarland. Das Zustandekommen der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt im September 1969 legte schließlich eine weitere Grundlage in der Annäherung, da sich den Niederlanden wie auch anderen europäischen Staaten durch diesen friedlichen und demokratischen Machtwechsel an der Spitze der jungen deutschen Demokratie eine gewisse Normalität der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zeigte.
Bedeutsam für eine fortschreitende Normalisierung der Beziehungen war laut dem niederländischen Historiker Friso Wielenga ebenso der Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann im November 1969. Sowohl Zeitpunkt als auch das Programm waren bewusst hinsichtlich sensibler Themen wie Shoa und Widerstand gewählt.1 Trotz einiger weniger Gegenstimmen und Proteste begrüßten die niederländische Bevölkerung und Presse den deutschen „Bürgerpräsidenten“, der als erstes Staatsoberhaupt seit Kaiser Wilhelm II. 1907 die Niederlande besuchte. ZEIT-Korrespondent Rolf Zundel stellte in einem Artikel vom 28. November 1969 heraus, dass diese Offenheit wohl besonders mit der Person des Bundespräsidenten zu tun hatte: Für viele Holländer scheint dieser Staatsbesuch aus Bonn ein Besuch zu sein wie viele andere, ein normales Ereignis. Und diese Feststellung mag am Ende mehr bedeuten als gefälliges Fähnchenschwenken und leichtlebiger Jubel. Hieße der Bundespräsident nicht Gustav Heinemann, wäre es kaum so gewesen. Er ist, wie die Zeitung Het Vrije Volk schrieb, für die Holländer ein Repräsentant ‚des anderen Deutschland‘ – ein Mann, der Respekt und Achtung verdient.2
Laut dem für den Ablauf des Besuchs durch das deutsche Protokoll angefertigten Programms bildete den Auftakt am 24. November eine Kranzniederlegung des Bundespräsidenten am Nationalen Ehrenmal und der Besuch des jüdischen Ehrenmales „Hollandse Schouwburg“ in Amsterdam. Während der mitreisende Bundesaußenminister Walter Scheel in den folgenden Tagen immer wieder Gespräche mit seinem Amtskollegen führte, besuchte der Bundespräsident verschiedene Städte, Betriebe wie die Deltawerke und den Hafen von Rotterdam, eine Schnittblumenversteigerung und kulturelle Einrichtungen wie das Rijksmuseum. Seine Ehefrau Hilda begleitete ihn und stattete neben dem offiziellen Programm im Rahmen des „Damenprogramms“ sozialen Einrichtungen einen Besuch ab. Ein von Königin Juliana gegebenes Gala-Diner am ersten Abend stellte den Höhepunkt des Staatsbesuches dar. Wenige Tage später revanchierte sich der Bundespräsident mit einem Essen, dessen Menü an die Hochzeit der Königin 1937 angelehnt war.
Bei Empfängen, Begrüßungen und zahlreichen anderen Gelegenheiten überreichte der Bundespräsident großzügig Geschenke im Wert von über 30.000 D-Mark und dankte in mehreren Reden für die niederländische Unterstützung und Bereitschaft, Deutschland einen Neuanfang zu ermöglichen: Wenn es nach 1945 gelungen ist, in einem Teil unseres Vaterlandes wieder ein demokratisches und rechtstaatliches Gemeinwesen zu schaffen, so hat daran neben eigener Anstrengung unseres Volkes die Unterstützung anderer demokratischer Nationen, wie der Niederlande, wesentlichen Anteil. Diese moralische, geistige und in den Anfängen auch materielle Unterstützung hat uns viel von der Kraft gegeben, deren wir bedurften, um einen lebenskräftigen Staat aufzubauen und ihn mit der freien Welt untrennbar zu verbinden.3
Dass der Besuch maßgeblich zur Versöhnung und Annäherung der beiden Länder beitrug, zeigte sich sowohl in der nationalen und internationalen Presseberichterstattung als auch in internen Schreiben wie in einem Bericht des Generalkonsuls in Amsterdam an das Auswärtige Amt. Er schrieb Anfang Dezember 1969, dass ihn in den vergangenen Tagen zahlreiche Sympathiebekundungen von allen Seiten erreichten: Dies gilt ebenso für die offiziellen Persönlichkeiten des hiesigen öffentlichen Lebens, wie – und das möchte ich besonders herausstellen – für Leute aus den verschiedensten privaten Bereichen, vom Milchhändler und Postboten bis zu den Kaufleuten, Kulturträgern, früheren Widerstandskämpfern und den für unser Standing hier so wichtigen jüdischen Bürgern.4
1 Wielenga, Friso, Vom Feind zum Partner. Die Niederlande und Deutschland seit 1945, Münster 2000 (agenda Politik 21), S. 272f.
2 Zundel, Rolf, Sechsspännig ins Schloss. Bürgerpräsident Gustav Heinemann auf Besuch in den Niederlanden, in: ZEIT 48 (28.11.1969) (https://www.zeit.de/1969/48/sechsspaennig-ins-schloss [09.05.2019]).
3 Ansprache von Bundespräsident Gustav W. Heinemann aus Anlaß des Galadiners gegeben von I[hrer] M[ajestät] Königin Juliane der Niederlande am 24. November 1969, in: PA AA, B 24, Bd. 599.
4 Bericht des Generalkonsul von Amsterdam an das Auswärtige Amt (Amsterdam, 01.12.1969), in: PA AA B 24, Bd. 599.
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Regest und Formalbeschreibung
[Bonn], 1969 November 13
Programm für den Staatsbesuch von Bundespräsident Heinemann und seiner Gattin in den Niederlanden vom 24. bis 27. November 1969.
Archivsignatur: PA AA, B 8, Bd. 1633.
Internes Schreiben, Ablichtung des Konzepts. DIN-A4, 6 Blatt, oben links geheftet, Vorderseiten in Maschinenschrift beschrieben. Kopfbogen Seite 1 „Auswärtiges Amt – Protokoll, Stand: 13. November 1969“, Seitenzahlen in Kopfzeilen, Korrektur einer Uhrzeit mit Kugelschreiber auf Seite 6.
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