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Deutsch-französische Freundschaft mit Brief und Siegel
1963: Der Elysée-Vertrag
Die Wende zum Guten in den deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg markiert nichts so deutlich wie der Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit, meist kurz als „Elysée-Vertrag“ bezeichnet. Am 22. Januar 1963, vor 60 Jahren, wurde er zusammen mit einer Gemeinsamen Erklärung im Salon Murat des Elysée-Palastes unterzeichnet. Archive halten die Erinnerung wach – an Gutes wie an Schlimmes. Ein Anlass, an den man sich gern erinnert, ist dieser Vertrag, der – wie alle völkerrechtlichen Verträge Deutschlands – im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts verwahrt wird.
Die Gemeinsame Erklärung spricht von einer grundlegenden Neugestaltung des beiderseitigen Verhältnisses. Dazu sieht der Vertrag regelmäßige Konsultationen der Staats- und Regierungschefs, der Außenminister wie der Spitzenbeamten der Außenministerien und der Botschaften vor, ebenso der Verteidigungsminister und der Minister für Familien- und Jugendfragen. Auf dem Gebiet der Außenpolitik soll so eine weitgehend „gleichgerichtete Haltung“ in allen wichtigen Fragen erreicht werden, vor allem hinsichtlich der europäischen Einigung. Gemeinsame Konzeptionen, verstärkter Personalaustausch und Rüstungskooperation werden auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik angestrebt, ebenso wie weitgehende Harmonisierung in Erziehungs- und Jugendfragen, etwa beim Sprachunterricht und der gegenseitigen Anerkennung der Diplome.
Der Vertrag war ungewöhnlich in seiner weitgehenden Bindung der Politik beider Länder aneinander. Zwar gab es Bemühungen um die deutsch-französische Aussöhnung bereits seit Anfang der fünfziger Jahre, doch standen diese im größeren Zusammenhang der europäischen Einigung. Auf französischer Seite verbinden sich damit zunächst die Namen Jean Monnets und Robert Schumans, der beiden „Väter“ der Montanunion, der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, begründet am 18. April 1951. Mit den „Römischen Verträgen“ vom 25. März 1957 kamen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Atomgemeinschaft hinzu. Auch de Gaulle, Ende 1958 in Frankreich an die Staatsspitze getreten, strebte Anfang der sechziger Jahre zunächst eine engere politische Union dieser europäischen Sechsergemeinschaft an. Ein entsprechender Vorschlag wurde von einer Kommission unter dem Vorsitz des französischen Diplomaten Christian Fouchet verfolgt. Erst nach dem Scheitern des – ganz auf die Vorstellungen de Gaulles von einem „Europa der Vaterländer“ ohne supranationale Institutionen zugeschnittenen – Fouchet-Plans im Frühjahr 1962 nahmen Gedanken über eine bilaterale Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands Gestalt an, wobei von de Gaulle die Initiative ausging. Die Entscheidung, deshalb einen förmlichen Vertrag abzuschließen, fiel jedoch erst sehr spät. Bei den Besuchen Adenauers in Frankreich sowie de Gaulles in Deutschland im Sommer und Herbst 1962 war zunächst nur die Rede von einer formlosen Vereinbarung, und auch noch bei der Begegnung der politischen Direktoren beider Außenministerien am 12. Januar 1963 wurde nur über den Entwurf eines nicht zur Veröffentlichung bestimmten Protokolls sowie einer Gemeinsamen Erklärung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit verhandelt. Der Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts wies zwar darauf hin, dem Inhalt nach bedürfe das Protokoll der parlamentarischen Zustimmung, dennoch war es überraschend, dass Bundeskanzler Adenauer in seiner kurzen Ansprache nach der Landung auf dem Flughafen Orly am 21. Januar 1963 recht selbstverständlich von einem abzuschließenden „Vertrag“ sprach. In der ersten Unterredung zwischen ihm und Staatspräsident de Gaulle, erklärte sich dieser „très frappé par la déclaration faite par le Chancellier à son arrivée à Orly“. De Gaulle, dem die französische Verfassung keine Unterscheidung wie das Grundgesetz vorschrieb, erklärte am Nachmittag des gleichen Tages, dies gehe nur die Deutschen an. „Französischerseits werde dem Abkommen eine so große Bedeutung beigemessen, daß es auf jeden Fall in einer oder der anderen Form dem Parlament zugeleitet werden würde…Vielleicht werde das Abkommen sogar dem Volk zur Zustimmung unterbreitet werden.“ Für Adenauer, das absehbare Ende seiner Kanzlerschaft vor Augen, bedeutete die Vertragsform auch eine erwünschte starke Verpflichtung zur Bewahrung des Erreichten für seine Nachfolger im Amt. So manchem in der politischen Klasse Bonns erschien die Anbindung an Frankreich schließlich zu eng und möglicherweise schädlich für das Verhältnis innerhalb der Europäischen Gemeinschaften sowie der NATO und zu den USA. Viel dürfte auch das nach anfänglichem Misstrauen des Bundeskanzlers rasch von großer Wertschätzung geprägte Verhältnis zwischen Adenauer und de Gaulle zum engen Zusammenschluss beider Länder beigetragen haben. Bei Adenauer wie bei de Gaulle spielte zudem wohl auch der Wunsch eine Rolle, den jeweils anderen von einer Annäherung an die Sowjetunion abzuhalten; beiden alten Herrn waren die französisch-russische Entente vom Ende des 19. Jahrhunderts wie andererseits der deutsch-sowjetische Rappallovertrag von 1922 durchaus in lebendiger Erinnerung.
Die späte Entscheidung zugunsten eines förmlichen Vertrags war der Grund dafür, dass am Morgen des 22. Januar 1963 ein junges Mitglied der deutschen Delegation, der spätere Botschafter Per Fischer, ein wenig ratlos durch den vornehmen Pariser Faubourg St. Honoré lief. Er war auf der Suche nach einer halbwegs passenden Mappe, um das für die Bundesrepublik Deutschland bestimmte Vertragsexemplar einzubinden. Beim Lederwarenhändler Hermès fand er schließlich eine, wenn auch in etwas hellerem Blau als die üblichen Vertragsmappen und natürlich ohne Bundesadler. Warum diese Umständlichkeit? Die deutsche Delegation hatte darauf verzichtet, das übliche Rüstzeug für völkerrechtliche Verträge mitzunehmen, spezielles Papier, Petschafte und eben die vorgeschriebene Mappe, dunkelblau mit aufgeprägtem Bundesadler in goldener Farbe. Für das ursprünglich vorgesehene „Protokoll“ mit „Gemeinsamer Erklärung“ hätten die Formerfordernisse eines Vertrags nicht gegolten. Als dann in letzter Minute bekannt wurde, dass Bundeskanzler und Staatspräsident sich entschieden hatten, die Verhandlungsergebnisse in einem feierlichen und rechtlich stärker bindenden Staatsvertrag festzuschreiben, kam es zu der geschilderten Mission Per Fischers im Pariser Lederwarenhandel, der Vertragstext wurde „in einem zum Sekretariat umfunktionierten Badezimmer im Hotel ‚Bristol’“ auf französisches Vertragspapier geschrieben, da deutsches nicht zur Verfügung stand, und die Siegelstempel für die deutschen Unterzeichner mussten eiligst in Paris angefertigt wurden, da eigene der deutschen Delegation nicht zur Verfügung standen. Bei anderen Verträgen, die Bundeskanzler Adenauer unterzeichnet hat, wurde stets ein Petschaft mit seinem Familienwappen verwendet. Die Verwendung nichtamtlicher Siegel war damals durchaus noch üblich. Im 19. Jahrhundert die Regel, wurde noch bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht selten so verfahren, und noch die Richtlinien des Auswärtigen Amts für völkerrechtliche Verträge von 1973 legten fest, dass ein persönliches Siegel verwendet werden könne, sofern der Unterzeichner darüber verfügte. Heute ist die Verwendung amtlicher Petschafte zwingend vorgeschrieben, bei einem feierlichen Staatsvertrag wie dem Elysée-Vertrag wäre das ein Siegel mit der Umschrift „Bundesrepublik Deutschland“.
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Regest und Formalbeschreibung:
Paris, 1963 Januar 22
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die bilaterale Zusammenarbeit: Aufstellung eines gemeinsamen Programms und regelmäßige Konsultationen in den Politikbereichen Auswärtiges, Verteidigung sowie Erziehung und Jugend.
Archivsignatur: PA AA V21-FRA/115A
Staatsvertrag, deutsches Alternat mit Urschrift und Gemeinsamer Erklärung in deutscher und französischer Sprache. 12 doppelseitig beschriebene Blätter, 23 x 35,5 cm, aufgedruckter roter Rand, Goldschnitt, dreifach gelocht und mit schwarz-rot-goldenem Farbband gebunden. Unterschriften und Initialensiegel von Bundeskanzler Konrad Adenauer, Bundesaußenminister Gerhard Schröder, Staatspräsident Charles de Gaulle, Premierminister Georges Pompidou und Außenminister Maurice Couve de Murville.