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Gruß an Jackie
Bundesaußenminister Gerhard Schröder (CDU) sendet am 26. März 1962 eine Grußbotschaft an die Frau des US-Präsidenten John F. Kennedy, Jacqueline Kennedy, anlässlich ihres anstehenden Kurzaufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Brief wird nie übergeben.
Im Politischen Archiv birgt die Akte aus dem Ministerbüro mit der Signatur B 1-MB, Band 226 eine Besonderheit: Unter all den Vermerken der damaligen Kolleg*innen auf durchscheinendem Papier, die wiederum weitere handschriftliche Verfügungen und Vermerke tragen, findet sich ein Handschreiben des Bundesaußenministers Gerhard Schröder. Dieses Schreiben mit dem Datum des 26. März 1962 trägt den persönlichen Briefkopf des Ministers, ist in englischer Sprache abgefasst und schließt mit einem handschriftlichen Zusatz Schröders nebst seiner Unterschrift. Der beigeheftete Umschlag verrät die Adressatin: Mrs. John F. Kennedy. Der Brief sollte also Jacqueline Kennedy erreichen, die Frau des mächtigsten Mannes der freien westlichen Welt; er kam aber nie an, sondern fand seinen Weg zurück in die Akten des Ministerbüros. Wie geschah das?
Als John Fitzgerald Kennedy im November 1960 mit gut 100.000 Stimmen Vorsprung die Präsidentschaftswahlen gegen Richard M. Nixon gewann, war er gerade 43 Jahre alt – und damit deutlich jünger als sein Vorgänger Dwight D. Eisenhower, Fünf-Sterne-General und einstmals Oberbefehlshaber der alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg. Eisenhower selbst hatte das Präsidentenamt erst mit 63 Jahren angetreten.
An John F. Kennedys Seite stand seine Frau Jacqueline, genannt Jackie. Die beiden hatten sich 1951 kennengelernt und zwei Jahre später geheiratet. Kennedy-Biograph Robert Dallek beschreibt Jackie Kennedy als „attraktiv, intelligent und nachdenklich, ein wenig scheu doch sehr charmant“.
Nach dem Einzug in das Weiße Haus im Januar 1961 ließ Jackie dort einige Räume restaurieren und umgestalten. Sie tat dies nicht im Stillen, sondern ließ ihre fellow citizens – die amerikanischen Mitbürger*innen – daran teilhaben, indem sie ein Fernsehteam durch die neu gestalteten Zimmer führte. Im Februar 1962 verfolgten 56 Mio US-Amerikaner*innen diese Sendung und damit jede*r dritte Einwohner*in des Landes.
Bei seinen Reisen durch die USA merkte John F. Kennedy bald, dass sich die Leute vielmehr für seine Frau und vor allem für deren Kleidung interessierten, als für ihn selbst. Kennedy kommentierte dies einmal spöttisch mit den Worten: „Ich bin nur der Mann von Mrs. Kennedy.“
Auch die Deutschen in der Bundesrepublik – vor allem die in den Jahren nach 1940 geborenen – beeindruckte die Jugend und Eleganz, die „John F.“ und seine First Lady Jackie bei der Ausübung des Präsidentenamts der Vereinigten Staaten von Amerika ausstrahlten. Schließlich war ihr eigener Bundeskanzler Konrad Adenauer 1961 bereits 85 Jahre alt – einer aus der Generation der Großväter, der überdies gar nicht daran dachte, sein Amt schon aufzugeben.
1961 bekam die Bundesrepublik einen neuen Bundesaußenminister: den CDU-Politiker Gerhard Schröder. Schröder war nur sieben Jahre älter als John F. Kennedy und besaß sowohl persönlich als auch politisch eine starke Neigung zum angloamerikanischen Raum, denn er hatte in Edinburgh Jura studiert und ließ sich seine Anzüge in der Londoner Savile Row schneidern. In seiner Partei gehörte er zu den sogenannten Atlantikern; das war die Gruppe von Unionspolitikern, die in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf eine enge Verbindung zu den Vereinigten Staaten, vielmehr auf deren Nuklearwaffen, setzte. (Ihnen gegenüber standen die „Gaullisten“, benannt nach dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle, die einer Annäherung an Frankreich das Wort redeten und in diesem Zusammenhang auf mehr Unabhängigkeit der Bundesrepublik in der Nuklearbewaffnung pochten.) Als Bundesminister des Innern und des Auswärtigen zeigte sich Schröder aufgrund seines intensiven Aktenstudiums gegenüber seinen Ministerialbeamt*innen immer gut – manchmal auch besser – über die unterschiedlichsten Sachstände informiert. Diese tiefe Sachkenntnis paarte sich bei ihm mit einem kühlen, ja reservierten Auftreten gegenüber anderen, was Schröder nicht gerade beliebt machte.
In einem Vermerk, datiert auf den 19. März 1962, hielt Dr. Gottfried Pagenstert vom Ministerbüro fest: „Mrs. Jacqueline Kennedy“, aus Pakistan kommend, werde am 26. März 1962 zwischen 16.00 Uhr und 16.50 Uhr auf dem Flughafen in Frankfurt/Main einen kurzen Aufenthalt haben, bevor sie ihre Reise weiter über London in die Vereinigten Staaten fortsetzen werde. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden und der ursprüngliche Plan sah Folgendes vor: Bundesminister Schröder, seine Frau Brigitte, Botschafter Sigismund von Braun und Schröders persönlicher Referent, Vortragender Legationsrat I. Klasse Dr. Klaus Simon, sollten Jackie Kennedy dort ihre Aufwartung machen. Doch schon tags darauf schrieb Dr. Simon in einem weiteren Vermerk, Mrs. Kennedy habe darum gebeten, aufgrund der anstrengenden Reise während des Aufenthalts keine offiziellen Termine wahrnehmen zu müssen. Sie bräuchte nur ein Hotelzimmer, „damit sie sich ausruhen könne“. Den Aufenthalt der Frau des US-Präsidenten in der Bundesrepublik Deutschland – und sei er auch noch so kurz – nicht wenigstens für einen Gruß der Bundesregierung zu nutzen, wäre doch ein diplomatischer Fauxpas gewesen. So wies Schröder das Referat 305 der Abteilung 3 (zuständig für USA und Kanada) an, ein Begrüßungsschreiben für Mrs John F. Kennedy in englischer Sprache zu entwerfen. Darin hieß es (in deutscher Übersetzung):
„Sehr verehrte Mrs. Kennedy, Ihr Aufenthalt auf deutschem Boden ist extrem kurz. Darf ich Sie dennoch von Herzen hier willkommen heißen. Es ist selbstverständlich, dass sich das deutsche Volk und die Regierung außerordentlich gefreut hätten, Sie zu sehen. Wir freuen uns schon auf die nächste Gelegenheit, Sie hier in unserer Mitte zu haben.
All unsere guten Wünsche begleiten Sie auf Ihrem Weg nach London und nach Hause. Bundeskanzler Adenauer, der zurzeit seinen Urlaub in Norditalien verbringt, hat mich insbesondere gebeten, Ihnen seine allerherzlichsten und liebenswürdigsten Grüße weiterzugeben.
Mit allen guten Wünschen, auch von mir, verbleibe ich, sehr verehrte Mrs. Kennedy, mit freundlichem Gruß. Ihr Gerhard Schröder.“
In seinem Brief kommt die Bewunderung und Verehrung einer ganzen Generation und hier vor allem des sonst so nüchtern auftretenden Bundesaußenminister Schröder für die Kennedys zum Ausdruck. Sicherlich imponierte dem gern in englische Maßanzüge gekleideten obersten Diplomaten der Bundesrepublik dieses so elegant und modern wirkende Präsidentenpaar. In jedem Fall scheint Gerhard Schröder, der selbst trotz seiner Kühle die Damenwelt für sich einnehmen konnte, vom Glanz Jackie Kennedys bewegt gewesen zu sein: „Most sincerly“ begrüßt er sie, das deutsche Volk und die Regierung hätten ein Treffen „greatly enjoyed“. Auch lässt er es sich nicht nehmen, unter das maschinenschriftliche Schreiben handschriftlich „with all good wishes, in my part, too“ und „very sincerly“ zu ergänzen.
Diesen Brief sollte der stellvertretende Chef des Protokolls, Botschafter Ehrenfried von Holleben, nun persönlich in Frankfurt/Main an Jacqueline Kennedy überreichen. Doch auch dies sollte aus einem ganz banalen Grund nicht in die Tat umgesetzt werden können: Das Flugzeug von Pakistan nach London mit Jackie Kennedy an Bord unternahm dort gar keine Zwischenlandung. Von Holleben sandte daraufhin das Handschreiben an das Ministerbüro zurück. So gab es für Gerhard Schröder weder die Chance, sich zusammen mit der so beliebten First Lady der USA zu zeigen, noch ihr wenigstens einen schriftlichen Gruß zukommen zu lassen.
Die Schüsse von Dallas/Texas vom 22. November 1963 auf John F. Kennedy ließen die Ausstrahlung von Jugendlichkeit und Eleganz der Kennedys bei der Ausübung von Macht jäh verlöschen und schufen „ein unvollendetes Leben“. Dazu trug auch die schnelle Vereidigung von Vize-Präsident Lyndon Baines Johnson als Kennedys Nachfolger bei; dies geschah schon auf dem Rückflug von Dallas – neben ihm Jackie Kennedy im blutbespritzten rosa Kostüm. Im Flugzeug befand sich auch der Sarg mit dem toten Präsidenten.
Die Begeisterung, die die Kennedys als Präsidentenpaar auslösten, ist für die Nachgeborenen nur noch durch zeitgenössische Filmaufnahmen verständlich – oder auch durch das Handschreiben Gerhard Schröders an Jacqueline Kennedy, das nie ankam, das seinen Weg zurück in die Akten fand und heute im Politischen Archiv eingesehen werden kann.
Der Entwurf zum Gesamttext des Handschreibens wurde von Referat 305 (Legationsrat I. Klasse Franz Josef Hoffmann bzw. Legationsrat Dr. Gerhard Ritzel) gefertigt und unter dem Datum des 22. März 1962 im Rahmen einer Ministervorlage an Bundesminister des Auswärtigen, Gerhard Schröder, übermittelt. Der Sprachendienst hatte den Entwurf ebenfalls geprüft. Schließlich wurde der eigentliche Brieftext maschinenschriftlich auf dem persönlichen Briefbogen des Bundesministers abgefasst. Schröder ergänzte handschriftlich das Datum, die Anrede, den Schlusssatz, die Höflichkeitsformel und unterzeichnete mit Vor- und Zunamen. Auf der Vorderseite des Briefumschlages wurde für die Anrede die im englischsprachigen Raum übliche Form gewählt, sprich: weibliche Anredeform und Vor- und Zuname des Mannes, und die Anrede selbst handschriftlich verfasst.
Regest und Formalbeschreibung:
Bonn, 1962 März 26
Der Bundesminister des Äußeren, Gerhard Schröder, heißt Jacqueline Kennedy, Ehefrau des US-Präsidenten John Fitzgerald Kennedy, in der Bundesrepublik willkommen, bedauert gleichzeitig, dass aufgrund der knappen Zeit keine persönliche Begegnung möglich sei und überbringt Grüße von Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Archivsignatur: PAAA B 1-MB/226.
(Hand-)Schreiben, abgegangene, nicht behändigte Ausfertigung, DIN-B5, 1 Blatt, Vorderseite maschinenschriftlich mit handschriftlichen Ergänzungen, persönlicher Briefbogen des Bundesministers mit links aufgedrucktem Briefkopf „Dr. Gerhard Schröder“ darunter „Bundesminister des Auswärtigen“, rechts mit blauer Tinte „Bonn, 26.3.62“, darunter handschriftliche Anrede „Dear Mrs. Kennedy,“, darunter in Maschinenschrift das Schreiben in englischer Sprache, am Ende handschriftliche Grußformel sowie die Unterschrift des Ministers mit Vor- und Zunamen.