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Sechs Autographen zwischen Zanderschnitte und Erdbeersalat

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5. Mai 1990: Generalprobe im 2 plus 4 Prozess auf einer Menükarte

Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Seite 1 mit Unterschriften, Archivsignatur: PA AA NL 75/536
Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Seite 1 mit Unterschriften, Archivsignatur: PA AA NL 75/536 © AA

Eine Menükarte im Nachlass des Außenministers Hans-Dietrich Genscher im Politischen Archiv erweist sich als außergewöhnliches Zeitzeugnis. Es handelt sich um die Menükarte zum Mittagessen des ersten Treffens der sechs Außenminister am 5. Mai 1990 in Bonn während der 2 plus 4 Verhandlungen im Jahr 1990. Die Menükarte im Oktavformat enthält die Speisefolge in vier Sprachen. Der äußere Blattschnitt ist vergoldet und das Heft wird mit einem schwarzrotgoldenen Kordelbändchen zusammengefasst. Die erste Seite enthält das Datum und in bunten Farben die Unterschriften aller sechs Außenminister beginnend mit Douglas Hurd für Großbritannien. Es folgen für die USA James Baker, für die Sowjetunion Eduard Schewardnadse, für Frankreich Roland Dumas und für die DDR Markus Meckel. Für den Außenminister der Bundesrepublik bleibt nur noch wenig Platz.

Hans-Dietrich Genscher unterschreibt entsprechend der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien mit grüner Farbe.

Aus der Menükarte erfährt man die Speisefolge: Pilzsalat, Zanderschnitte und Erdbeersalat und als Getränk zwei deutsche Weißweine aus dem Jahr 1986 zur Auswahl. Offen bleibt der Ort des Mittagessens. Die Godesberger Redoute, Schloss Gymnich oder das Hotel Maritim, in dem die abschließende Pressekonferenz stattfand? Diese Orte standen zu Beginn der Planung in der Protokollabteilung zur Diskussion. Die Godesberger Redoute war jedoch belegt, Schloss Gymnich mit Fahrtzeit verbunden und für das Hotel hohe Sicherheitsvorkehrungen erforderlich. Das Mittagessen fand deshalb nach der ersten Arbeitssitzung im Kasino des Auswärtigen Amts von 13.45 bis 15.40 Uhr statt (B 8-ZA/16780).

Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Seiten 4 und 5, Archivsignatur: PA AA NL 75/536
Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Seiten 4 und 5, Archivsignatur: PA AA NL 75/536 © AA

Wie war die Stimmung nach der ersten Gesprächsrunde? Die Außenminister hatten ihre Eingangserklärungen abgegeben und konnten sich auf die von den politischen Direktoren vorbereitete Tagesordnung für die folgenden 2 plus 4 Gespräche mit einer Korrektur auf Wunsch des sowjetischen Außenministers verständigen. In seinen 1995 publizierten „Erinnerungen“ zieht Hans-Dietrich Genscher eine positive Bilanz für den Vormittag.1 Ob die Signierung der Menükarte von Hans-Dietrich Genscher spontan initiiert oder geplant war oder die Idee eines anderen Ministers, lässt sich nicht mehr klären. Doch darf man davon ausgehen, dass die Karte wohl eher bei guter Laune kreiste. Hans-Dietrich Genscher wird die Generalprobe der gemeinsamen Unterschrift vermutlich als gutes Omen für den weiteren Verhandlungsverlauf genommen haben.

Die Rückseite der Menükarte nutzte Genscher für Notizen. Sie zeigen, dass das Mittagessen auch zu weiteren Abstimmungen genutzt wurde. So wurden die kommenden Verhandlungsorte und ihre zeitliche Folge festgelegt und über die Beteiligung Polens debattiert.

Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Umschlag Rückseite, Archivsignatur: PA AA NL 75/536
Menükarte für das Mittagessen bei den 2 plus 4 Verhandlungen in Bonn am 5. Mai 1990, Umschlag Rückseite, Archivsignatur: PA AA NL 75/536 © AA

„Juni Berlin, Juli Paris, Anf[ang] Sept[ember] Moskau

Polen Einladung

Nach Paris

Grenzen

Garantien

Pol[itische] Direktoren

Polen Anschreiben“

Die Resultate des Arbeitsessens wurden zu Beginn der Nachmittagssitzung auch vom Vorsitzenden Genscher offiziell eingebracht: „Es sei ein gutes Gespräch gewesen, das Resultate gebracht habe: Zum Zeitplan […], Weisungen an die Direktoren […], Zur Beteilung Polens [...]“ wie ein Aktenband aus der Politischen Abteilung belegt (B 38-ZA/670763).

Die Unterzeichnung des „Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ erfolgte nach den Verhandlungen in Berlin und Paris am 12. September in Moskau.

Eine vollständige Darstellung der Menükarte finden Sie unten auf dieser Seite in der Bildergalerie.

Der Nachlass von Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dietrich Genscher prägte von 1974 bis 1992 die Politik der Bundesrepublik Deutschland als Außenminister. Zuvor war er bereits von 1969 bis 1974 Innenminister in den Regierungen Brandt und Schmidt gewesen. Hans-Dietrich Genscher war Mitglied der Freien Demokratischen Partei und für diese von 1965 bis 1994 im Bundestag. In der FDP war er in verschiedenen Funktionen tätig, u. a. auch als Bundesvorsitzender. Seit dem Ausscheiden aus dem Dienst am 21. Mai 1992 war er weiter politisch aktiv und ein häufig eingeladener Redner.

Die Orden von Hans-Dietrich Genscher auf dem Weg in das Magazin des Politischen Archivs, Archivsignatur: PA AA NL 75 Orden
Die Orden von Hans-Dietrich Genscher auf dem Weg in das Magazin des Politischen Archivs, Archivsignatur: PA AA NL 75 Orden © AA

Sein Nachlass umfasst sowohl Unterlagen zu seiner parteipolitischen Tätigkeit als auch zu seinen beiden Ämtern als Bundesminister. Nach seinem Tod am 31. März 2016 wurde der Nachlass zwischen dem Bundesarchiv (Schriftgut in seiner Rolle als Innenminister), dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (Außenminister) und der Friedrich-Naumann-Stiftung (parteipolitische Tätigkeit für die FDP) dreigeteilt. Das Politische Archiv übernahm 569 Akteneinheiten, Fotografien und 68 Orden (ca. 12 lfm). Die Unterlagen wurden am 9. Oktober 2017 vom Politischen Archiv in Wachtberg-Pech abgeholt. Der Nachlass ist vollständig erschlossen und über die Datenbank invenio und im Politischen Archiv einsehbar.

Bemerkenswert ist die große Anzahl an Redemanuskripten, davon allein 206 Tischreden, sowie die thematischen und chronologischen Zusammenstellungen von Originalen und Kopien von amtlichem Schriftgut (Gesprächsvermerke, Drahterlasse, Telegramme) mit einem breiten inhaltlichen Spektrum. Private Unterlagen aus dem Leben von Hans-Dietrich Genscher sind in diesem Teil des Nachlasses nicht überliefert. Jedoch finden sich auch zahlreiche Dokumente aus der Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Dienst. Er intervenierte bspw. noch in Angelegenheiten von inhaftierten Deutschen und war im In- und Ausland ein gefragter Redner. Die Orden, die er im Rahmen von Staatsbesuchen erhalten hat, ergänzen die Überlieferung. Außerdem wurden Fotoabzüge übergeben, die vorrangig vom Bundespresseamt stammen. Diese sind in die Bildersammlung des Archivs integriert worden.

Originalschriftgut findet sich vor allem bei den Reden, in der Ablage Ministerbüro und in den Handakten. Neben der Menükarte ist auch das Schreiben des Bundeskanzlers Helmut Kohl vom 19. Februar 1990 enthalten, in dem Kohl auf die vollständige Einbeziehung und Unterrichtung des Bundeskanzleramts in alle Fragen, die mit dem 2 plus 4 Prozess zusammenhängen, besteht (NL 75/672). Die Archivalien der „Ablage Ministerbüro“ im Nachlass enthalten Niederschriften über Besprechungen der Staatssekretäre mit dem Minister, Niederschriften von sogenannten Hausbesprechungen (Minister, Staatssekretäre, D 2, Referatsleiter der politischen Abteilung - Teilnehmerkreis variierend). Vereinzelt fanden die Besprechungen auch in der Wohnung des Ministers in Wachtberg-Pech statt.

Die weiteren Ablagen des Nachlasses bestehen überwiegend aus Kopien von Vorlagen der politischen Abteilung und aus dem Ministerbüro. Die Redemanuskripte tragen gelegentlich handschriftliche Anmerkungen von Hans-Dietrich Genscher.

In seiner Summe bietet der im Politischen Archiv zugängliche Nachlass vereinzelt Dokumente zur Außenpolitik, die die amtliche Überlieferung des Archivs ergänzen. Gleichwohl ermöglicht der Nachlass einen Blick auf diejenigen politischen Themen, die dem Außenminister so wichtig waren, dass er sie des Aufhebens oder des Kopierens würdig fand, um sie in seinen „Erinnerungen“ zu reflektieren. Außerdem bietet der Nachlass einen Einblick in die Themen, für die sich der Minister a. D. politisch weiter engagiert hat.

1 Genscher, Hans-Dietrich: Erinnerungen. Berlin 1995.

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