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35 sehr lange Sekunden: Erinnerungen an das Erdbeben in Haiti

12.01.2015 - Artikel

Am 12. Januar 2010 wird Haiti von einem Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht. Der damalige deutsche Botschafter in Port-au-Prince, Jens-Peter Voss, erinnert sich an das Beben und die Zeit danach.

Ein Bild der Zerstörung: Slum in den Bergen über Port-au-Prince nach dem Erdbeben
Ein Bild der Zerstörung: Slum in den Bergen über Port-au-Prince nach dem Erdbeben© dpa / picture alliance

Am 12. Januar 2010 wird Haiti von einem Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht: Ca. 250.000 Menschen sterben, etwa 1,5 Millionen werden obdachlos. Der damalige deutsche Botschafter in Port-au-Prince, Jens-Peter Voss, erinnert sich an das Beben und die unmittelbare Zeit danach.

An einem Dienstagnachmittag um 17 Uhr bebt die Erde - sieben Minuten vor Dienstschluss. Der Leiter der deutschen Botschaft in Port-au-Prince, Jens-Peter Voss, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch seine Frau befinden sich in den Räumen der Kanzlei, als Haiti für 35 Sekunden von einem Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht wird. „35 Sekunden, die sehr lang werden können“, erinnert sich Voss heute. Die Menschen hätten laut um Hilfe gerufen - „ansonsten stellte man sich unter Türrahmen, wie es sein soll.“

Das Ausmaß der Katastrophe

Zerstörte Häuser in Port-au-Prince
Zerstörte Häuser in Port-au-Prince© AA/THW

Die deutsche Botschaft in Haiti ist eine sogenannte Kleinstvertretung mit knapp zehn Mitarbeitern, davon zwei Entsandte aus Deutschland. Sie wird bei dem verheerenden Erdbeben kaum beschädigt. Wie es außerhalb des Botschaftsgeländes aussieht, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. „Ich brauchte meine Kolleginnen und Kollegen nicht erst dazu auffordern, sich vorsichtig auf den Heimweg zu machen: Jeder hatte Sorge um seinen Nächsten, sein Haus, seine Habe“, so Botschafter Voss.

Voss ruft zunächst im Lagezentrum des Auswärtigen Amtes an und gibt durch, dass alle Mitarbeiter wohlauf sind und die Botschaft unversehrt ist. Dann versuchen er und seine Frau, in ihrem Privatwagen selbst das Hotel zu erreichen, in dem sie untergebracht sind - die Residenz des Botschafters wird gerade saniert. Hier erst wird ihnen das Ausmaß der Katastrophe bewusst:

Wir gerieten schnell an eine Stelle, wo nichts mehr ging: Trümmer versperrten die Straße, ein Kran bemühte sich, das Dach eines Kinderheims hochzuheben. Als wir sahen, wie uns ein Angestellter unseres Hotels in Dienstkleidung entgegen kam - unter normalen Umständen hätte er damit das Hotelgelände nicht verlassen dürfen - wussten wir, dass auch das Hotel gelitten haben musste. Also fuhren wir zurück in die Kanzlei.

Die Botschaft als Ort der Zuflucht

Zeltlager auf dem Botschaftsgelände
Zeltlager auf dem Botschaftsgelände© AA

Dort richten Voss und seine Mitarbeiter eine Satellitenleitung ein, überprüfen die Notvorräte, geben regelmässig Lagemeldungen an die Zentrale des Auswärtigen Amtes durch und nehmen die ersten deutschen Staatsangehörigen auf, die durch das Beben ihr Dach über dem Kopf verloren haben. Während mehrere Nachbeben Port-au-Prince und Umgebung erschüttern, findet auch die Familie eines Gärtners, dessen Haus zerstört wurde, in der Botschaft Zuflucht.

Am nächsten Tag werden die ersten deutschen Staatsangehörigen nach Santo Domingo in der Dominikanischen Republik evakuiert, auch die Frau des Botschafters ist darunter. Voss selbst verbringt das nächste halbe Jahr im Büro, „mit einem Feldbett ausgestattet“, und koordiniert die Hilfsmaßnahmen der Botschaft: Dazu gehört das Auffinden und Evakuieren deutscher Staatsangehöriger, die Koordinierung humanitärer Hilfsleistungen der Bundesregierung und die längerfristige Planung von Beiträgen zum Wiederaufbau Haitis. Bereits drei Tage nach dem Beben treffen die ersten Kolleginnen und Kollegen aus Berlin ein, um das Personal vor Ort zu verstärken.

Nothilfe und Wiederaufbau

Die Nothilfemaßnahmen laufen an: Trinkwasserausgabe durch das Technische Hilfswerk (THW)
Die Nothilfemaßnahmen laufen an: Trinkwasserausgabe durch das Technische Hilfswerk (THW)© THW

Die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Deutschen ist enorm - ebenso das Informationsbedürfnis. Viele deutsche Journalisten sind vor Ort und müssen betreut werden, ein Team des ZDF campiert für einige Tage auf dem Gelände der Botschaft. Deutsche Hilfsorganisationen bauen das größte mobile Feldlazarett seit dem Zweiten Weltkrieg auf und errichten ein Zentrum für Trinkwasseraufbereitung. Die deutsche Botschaft leistet bei alledem Unterstützung.

Das Erdbeben vom 12. Januar 2010 tötet ca. 250.000 Menschen und macht 1,5 Millionen obdachlos. Auch vier deutsche Staatsangehörige kommen bei der Katastrophe ums Leben. Botschafter Voss erinnert sich heute, fünf Jahre später, noch genau an das Erlebte - „die Fahrten durch Straßen, in denen Tote lagen; das Bewusstsein des ungeheuren Glücks, noch am Leben zu sein.“

Erinnerung an das Erlebte

Jens-Peter Voss ist heute Generalkonsul in Shenyang
Jens-Peter Voss ist heute Generalkonsul in Shenyang© AA

Sein Hotel fiel während des Erdbebens wie ein Kartenhaus in sich zusammen - hätte das Beben etwas später stattgefunden; er hätte es vermutlich nicht überlebt. Voss bleibt noch bis 2012 Botschafter in Haiti; heute ist er Generalkonsul im chinesischen Shenyang. Verarbeiten lässt sich das Erlebte nur mit einem gewissen inneren Abstand, so Voss:

„Der Schock lässt uns eine Art Distanz aufbauen, offenbar als Selbstschutz: Wochenlang hatte ich das Gefühl, ein Film liefe ab und ich wunderte mich dann und wann, das ich offenbar selbst einer der Mitwirkenden war.“

Weitere Informationen

Bilaterale Beziehungen zwischen Deutschland und Haiti

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